«Baume» von Loris Theurillat wird mit dem 13e Prix Focale ausgezeichnet. Die Jury, unter der Leitung von Sarah Girard, Jurypräsidentin, Direktorin der Bieler Fototage, wählte die Arbeit aufgrund ihrer Genauigkeit und Qualität. Die Serie wirft einen intimen Blick auf den Verlust eines geliebten Menschen, wobei der fotografische Akt gleichzeitig zum Mittel und zur Flucht vor der bevorstehenden Trauer wird. Weitere Jurymitglieder waren Giorgia Del Don, Kulturjournalistin und Mitglied der Commission des affaires culturelles de la Ville de Nyon, Aurélien Garzarolli, Fotolithograph und Vorstandsmitglied von FOCALE, Myriam Kridi, Abteilungsleiterin Kultur von Nyon, Coline Plançon, Kulturmanagerin bei der Agentur MYOP, Radu Popescu, Vorstandsmitglied von FOCALE.
«An diesem Tag erzähltest du mir ein paar Erinnerungsfetzen, bevor dein Gedächtnis müde wurde und dann, ohne mich anzusehen, sagtest du: «Ich bin ein Wrack». In diesem Moment, als du noch zu Hause lebtest, wurde dir klar, dass du nicht in der Lage warst, dir selbst zu helfen, noch selbständig zu Hause zu leben, wurde dir die Wichtigkeit deiner Unabhängigkeit bewusst. Drei Monate später hast du dein Haus verlassen, dein Zimmer, deine Küche, deinen Garten, dein Dorf, um in ein Pflegeheim zu ziehen. Du bist in ein Pflegeheim vier Ortschaften weitergezogen.
In den 1950er Jahren hattest du den Jura gewählt, um dich hier niederzulassen und eine Familie zu gründen. Mit seinen sanften Hügeln und Tannenwäldern kündigte die Schönheit dieser Landschaft ein friedliches und angenehmes Leben an. Es wurde jedoch von tiefem Leid überschattet. Dein Mann und zwei deiner Kinder starben von einem Tag auf den anderen. Dann wurdest du schwer krank. Du hattest ein Nahtoderlebnis. Dieses Erlebnis führte zu einer tiefen Einsamkeit. Als du die Entscheidung getroffen hast in die Residenz umzuziehen, war der Verlust deiner Selbständigkeit und deines Gedächtnisses ein Grund für die Isolation. Die Einsamkeit nahm eine neue Form an, obwohl sie dir bereits vertraut war. Du hattest bereits Menschen verloren – jetzt musstest du deine Privatsphäre mit einer Unbekannten teilen. Von deinem Schlafzimmerfenster aus sahst du fremde Personen, eine dir fremde Landschaft – alles hatte sich verändert.
Diese Tatsache gehörte zu den Dingen, vor denen du dich am meisten fürchtest. Es dauerte lange, bis du es begriffen hattest und akzeptierteste. Gleichzeitig trübten sich deine Erinnerungen. Es schien, als ob du dich nicht erinnern konntest, als ob du dies absichtlich tätest, als ob es Teil des Spiels war, um die Veränderung besser zu ertragen. Dieser Satz, den du zu mir sagtest, hat mich nie wieder losgelassen. Ich wurde mir der Sterblichkeit bewusst – deiner Sterblichkeit. Eines Tages würde ein Teil von dir verschwinden, während ich glaubte, dass du ewig leben würden.
Ich erinnere mich an das letzte Telefonat der Krankenschwester an dem Morgen, als du gestorben bis. Sie beschrieb mir, wie die Agonie bereits deinen Körper ergriffen hatte. Sie hatte deine Finger und Zehen ergriffen, die sich schwarz verfärbten. Als wir ankamen, atmetest du nicht mehr. Du sahst friedlich und erlöst aus.
Als ich dich sah, konnte ich nicht anders, als einen Weg zu suchen, deine Geschichte ausserhalb der Realität erzählen zu können und dich auf meine Weise unvergesslich zu machen. Ich befürchtete, dass wir dich vergessen. Die Fotografie wurde meine Art, dich zu begleiten und zu bewahren. Später wurde mir klar, dass es eine Flucht war. Hinter der Kamera hielt ich die Trauer auf Distanz. Trauer war oft ein Thema in unseren Gesprächen. Ich erinnere mich an den Tag, den wir auf dem Dachboden verbrachten, um die Fotoalben zu öffnen. Du sagtest zu mir: «Danke, dass du mich nach Michel fragst, denn mir wurde immer wieder gesagt, dass ich nicht daran denken sollte, nicht darüber reden, ich solle vergessen». Ich habe bemerkt, dass die Verdrängung für dich keine Befreiung war, denn die Trauer verfolgte dich noch Jahrzehnte später.
Während ich durch die Bilder anschaue, habe ich das Gefühl, dass ich mich mit dir verbinde. Dieser Gedanke löst viele Gefühle aus. Emotionen, die sich in einem tiefen Wohlbefinden vereinen. Der Geruch von Bricelets und wenn ich den Knopf deines Radios drücke, denke ich an dich. Die Melodie deines Lachens – ich erinnere mich an dein Lachen beim Kartenspiel oder Toc.
Welche Beziehung haben wir zum Gedächtnis, zum Vergessen, zum Tod und zur Trauer? Deine Geschichte, deine Erinnerungen und unsere Gespräche haben es ermöglicht, darüber nachzudenken und vor allem, es zu erfahren. Eine Realität, die oft verdrängt wird. Diese fotografische Arbeit verlängert deine Spuren und macht sie schön. Ich habe gelernt, dass dein letzter Atemzug nicht wirklich ein letzter Atemzug war. Der Tod war erhaben».
Loris Theurillat ist am 22. Oktober 1998 in Etoy geboren. Er, ist Kameramann und Fotograf. 2020 schloss er ein EFZ in Fotografie am CEPV ab und 2022 erlange er an der ECAL einen Bachelor in Film, Spezialisierung Bild. Er hat an verschiedenen Musikvideos und Kurzfilmen gearbeitet. die auf internationalen Festivals gezeigt wurden, wie z.B. «La merveilleuse douleur du genêt» von Olivia Calcaterra (Vision du Réel 2023), oder «Portrait de Nicolas Rabaeus» von Rokhaya Marieme Balde (Schweizer Filmpreis 2023). Als Fotograf hat er sich auf Architektur und Porträts spezialisiert. Seit 2024 ist er Mitglied des Vereins Strates.