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Ausstellung | L’OEuil extérieur – Neuformatierung des Raumes: drei zeitgenössische Positionen aus Belarus | Affspace | Bern


  • Affspace Münstergasse 4 3011 Bern Schweiz (Karte)

Affspace | Bern
1. - 10. Oktober 2020

L’OEuil extérieur – Neuformatierung des Raumes: drei zeitgenössische Positionen aus Belarus
Michail Gulin, Artur Klinau, Antonina Slobodtschikowa


Antonina Slobodtschikowa und Tanya Haurylchyk, «Reinheit», 2020, Still aus dem Video über die Installation «Reinheit» von Antonina Slobodtschikowa. © Antonina Slobodtschikowa und Tanya Haurylchyk.

Antonina Slobodtschikowa und Tanya Haurylchyk, «Reinheit», 2020, Still aus dem Video über die Installation «Reinheit» von Antonina Slobodtschikowa. © Antonina Slobodtschikowa und Tanya Haurylchyk.

Bis im April 2021 hat der Affspace ein Plus. Er bespielt zusätzlich den benachbarten Raum des Bestatters in einer Zwischennutzung. Affspace+ steht aber auch für eine Reihe von Kooperationen und Gastspielen. So war das Plus letzte Woche am Casinoplatz zu sehen, an dem wir eine Plakatausstellung zu Aebi & Vincent Architekten zeigten. Nächste Woche wird der Raum des Bestatters zum Zentrum einer Solidaritätswoche für Kulturschaffende aus Belarus, die Valerian Maly (Bern/La Chaux-de-Fonds) initiiert hat und die an verschiedenen Orten in Bern stattfindet. Vom 1. bis zum 10. Oktober zeigen die Gastkuratorinnen Iryna Herasimovich (Minsk) und Seraina Renz (Chur) die Ausstellung «Neuformatierung des Raums», die sich mit dem politisierten öffentlichen Raum von Belarus auseinandersetzt.


Die Ausstellung «L’oeil extérieur – Neuformatierung des Raumes» im Affspace bildet das Zentrum einer Solidaritätswoche für Kulturschaffende aus Belarus. Unter dem Motto «Hinschauen!» üben sich Schweizer Kulturschaffende in der Praxis des «L’oeil extérieur» – ein Begriff aus der Theaterpraxis: der aufmerksam hinschauende Blick von aussen. In der Ausstellung sind Arbeiten zu sehen, die sich mit dem öffentlichen Raum in Belarus durch ebenso subtile wie von Hütern der Ordnung als subversiv wahrgenommene künstlerisch-architektonische Interventionen auseinandersetzen.

Ausgangspunkt der Ausstellung bildet das Buch Minsk – Sonnenstadt der Träume des Künstlers, Architekten und Schriftstellers Artur Klinau (*1965 Minsk). Es handelt sich um ein autobiografisches Essay, dessen eigentliche Protagonisten die Strassen und Plätze der sozialistischen Planstadt Minsk sind. Sie hätten in der Vision der Sowjets das Tor, den Auftakt zur wahren städtischen Utopie des «neuen Moskau» bilden sollen. Dieses «neue Moskau» wurde nie verwirklicht, Minsk hingegen schon, wie die zahlreichen Fotografien vor Augen führen, die Klinaus Essay bebildern. Die Fotografien, die in der Ausstellung zu sehen sind, zeigen die Fassaden (und manchmal auch ihr Dahinter), die Perspektiven und Prospekte einer Stadt, die nach dem 2. Weltkrieg fast vollständig zerstört und von Grund auf wiederaufgebaut worden war. Heute sind die Plätze von Minsk die Schauplätze des politischen Widerstands. Mit Artur Klinaus präzisen Beobachtungen sehen wir, was hinter den Fassaden reifte – die inszenierten Oberflächen sind aufgebrochen.

Die Brisanz des öffentlichen Raums loten auch die Aktionen von Michail Gulin (*1977 Gomel) aus, die in der Ausstellung in zwei Videos gezeigt werden. Mit einigen Assistenten trug Gulin 2012 rosafarbene und gelbe Würfel durch die Stadt und baute sich auf öffentlichen Plätzen, manchmal vor bestehenden Monumenten, sein Personalmonument aus den Würfeln – eine Handlung, die in Bern wohl kaum registriert würde. In Minsk aber wurde diese Intervention bereits als eine politische Provokation wahrgenommen. Die Idee des Künstlers, dass sein abstraktes Monument von Passant*innen mit einer Bedeutung aufgeladen werden sollte, war damit realisiert. Die 2 Konsequenz bestand allerdings darin, dass der Künstler und seine Assistenten auf dem Oktoberplatz, der nach Protesten 2006 politisch besonders aufgeladen war, von Sicherheitskräften festgenommen wurden, nachdem sie ihr Objekt aufgestellt hatten.

Mit der Unmöglichkeit eines politischen Statements im öffentlichen Raum setzt sich Michael Gulin in Territorium des Protests auseinander. Von jemandem an einer Kette geführt, betritt der Künstler einen Acker ausserhalb der Stadt mit einem Schild bewaffnet, auf dem statt eines Slogans nur ein dicker, roter Punkt prangt. Ohne lesbare Botschaft und ohne eine Öffentlichkeit, dazu durch die Kette gezähmt, performt er einen sinnlosen, in Belarus damals aber einzig möglichen Protest.

Die Videoarbeit Reinheit von Antonina Slobodtschikowa (*1979, Minsk) und Tanya Haurylchyk (*1987, Minsk) ist eine visuelle Reflexion auf die gleichnamige Installation von Slobodtschikowa. Darin liess die Künstlerin weisse Lebensmittel unter einer Glashaube langsam verschimmeln und verrotten. Die Kamera beobachtet die Zersetzung, indem sie die Esswaren vorsichtig abtastet. Anfangs sind sie sauber, haben ihre eigenen klaren Formen und Texturen. Der Prozess des Verfalls homogenisiert die individuellen Eigenschaften bis zur Unkenntlichkeit. Reinheit ist einerseits eine Auseinandersetzung mit der frappierenden Sauberkeit der Stadt Minsk, andererseits eine Reflexion auf Zeit und Zerfall.