Zwischen 2014 und 2019 hat Michele Sibiloni die Heuschrecken-Jagd in Uganda dokumentiert. Der Beginn der Regenzeit in Uganda ist gleichzeitig der Beginn der Heuschrecken-Saison. Die Jagd auf die proteinhaltigen Insekten war früher Frauensache. Im Gegenzug für die Delikatessen kauften ihnen ihre Ehemänner neue Stoffe für Kleider. Gesammelt, gebraten und serviert werden die grünen Laubheuschrecken seit Ewigkeiten…
Heuschrecken - "Nsenene" in der lokalen Sprache, sind in Uganda eine Delikatesse und gleichzeitig auch eine Einkommensquelle. Zweimal im Jahr – nach der Regenzeit – ziehen sie in riesigen Schwärmen über den Himmel, bevor der Tag anbricht. Ein grosser Teil der Bevölkerung bleibt jede Nacht bis zur Dämmerung auf, um die Heuschrecken zu jagen und zu verkaufen. Überall werden Fallen aus Fässern und Blechen aufgestellt, starke Glühbirnen helfen die Insekten anzulocken. Nicht nur mit Plastikflaschen, Netzen und Leinensäcke, sondern auch mit blossen Händen werden die Heuschrecken gefangen. Die grünen Farbtöne und die Anwesenheit der Heuschrecken, die durch den nächtlichen Nebel und den Rauch der Lagerfeuer umherschwirren, schaffen ein unwirkliches Szenario. Das Fangen und Essen von Heuschrecken ist in Uganda eine alte Tradition. Der hohe Proteingehalt macht sie zu einer potenziellen Nahrungsquelle für die Zukunft. Die Food and Agriculture Organization (FAO)[1] stellte bereits 2013 fest, dass die Aufnahme essbarer Insekten in die Ernährung von mehr Menschen den Hunger in der Welt verringern und die Lebensmittelsicherheit verbessern könnte.
Die Abholzung der Wälder hat jedoch in den letzten Jahren die Zahl der wandernden Insekten stark reduziert. Der Klimawandel hat auch in Afrika dazu geführt, dass die saisonalen Regenfälle nur noch schwer vorherzusagen sind. Der richtige Zeitpunkt für das Aufstellen der Fallen ist von entscheidender Bedeutung. Eine ungenaue Planung kann die Ernte gefährden und zu massiven Verlusten führen.
Die Heuschreckenjagd befindet sich in einem Spannungsfeld zwischen Vergangenheit und Zukunft, Tradition und Innovation und kann Aufschluss über die ugandische Identität sowie über neue Perspektiven für den gesamten Planeten geben.
Der Musiker und Politiker Bobi Wine schreibt in "Of Grasshoppers, Afrobeat and the Ugandan Presidential Race" über seine Erlebnisse, die Veränderungen und die Gefahren der "Nsenene-Seasons": As kids, we used to catch the insects and fry them up for our morning or evening tea. It wasn't till I reached the age of fifteen or sixteen that I realized this was a business opportunity. I was able to buy shoes with the money I'd made selling grasshoppers. After our mother left, we had to provide for ourselves. It wasn't easy, but we made it and we're proud of that. In my youth, grasshoppers smelled good because it was the smell of success. In fact, I recorded my first single – and made my first million – with grasshopper money. It paid my brother's school fees and the family's bills, too. That is why I revere theses insects: grasshoppers have changed my life.
Katende Kamadi schreibt in "The Nsenene Republic" wie es dazu kam, dass die Region um Masaka zur Nsenene Republic wurde und die ganze Entwicklung um die Heuschrecken: For a very long time now, we've been asking our government to step in and support us, but they haven't given us any real help yet. They do like taxing us, though, whenever they can. The government used to take the grasshopper harvest for granted as a naturally recurring phenomenon, but those days are gone. Some scientists have been studying the grasshoppers' biological habits with a view to teaching farmers how to breed them. While this could be a solution, it involves a lot of challenges. Among other things, grasshoppers are a very vulnerable food source that can be easily compromised if other insects get mixed in with them. And, while waiting for some results from these breeding projects, we can only hope the wind will blow our way.
Francis Sengendo, ein Entomologe[2] schreibt in "Nsenene Trapping: Current Challenges and Future Prospects" über die Herausforderungen und Perspektiven: Our only chance to safeguard nsenene harvesting and consumption is for the government to join forces with international organizations to improve traditional trapping methods by introducing safer, sustainable and energy-saving alternatives, as well as drafting protocols for the mass breeding of nsenene.
Informationen des Verlags: Heuschrecken, in Uganda «nsenene» genannt, sind dort ein Leckerbissen und eine wichtige Einkommensquelle. Zweimal jährlich wandern sie in Massen unmittelbar nach der Regenzeit. Riesige Schwärme überfluten kurz vor Sonnenaufgang den Himmel. Nacht für Nacht halten sich grosse Teile der Bevölkerung bis zum Morgengrauen wach, um Heuschrecken zu fangen und diese zu verkaufen. Die Allgegenwart der Heuschrecken und ihr grünlicher, sich im nächtlichen Dunst und im Rauch der Leuchtfeuer verlierender Schimmer tauchen das ganze Land in eine entrückte Atmosphäre, zu der auch die Skurrilität der listenreichen Jagd und selbst gebastelten Gerätschaften beiträgt. Augenblicke hektischen Treibens und lange Wartephasen, in denen man sich ein wenig ausruht oder die Zeit vertreibt, wechseln einander ab. Ihr hoher Eiweissgehalt macht die Tiere zu einer vielversprechenden Nahrungsquelle für die Zukunft. So erklärte die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), dass essbare Insekten auf dem Speiseplan von mehr Menschen den Hunger verringern und die Ernährungssicherheit in der Welt verbessern könnten. Andererseits haben die Entwaldungen der vergangenen Jahre zu einem drastischen Rückgang der Zahl und Artenvielfalt von Wanderinsekten geführt. Zudem macht der Klimawandel die Regenzeiten in Afrika immer weniger vorhersehbar, kommt beim Aufstellen der Fallen doch alles auf den richtigen Zeitpunkt an. Die Jagd nach Heuschrecken spielt sich auf einem sehr schmalen Grat zwischen Vergangenheit und Zukunft, Tradition und Modernisierung ab, den der italienische Fotograf Michele Sibiloni in seiner atmosphärisch dichten Bildsprache einfängt. In Form unmittelbar-kinematografischer Sequenzen erzählen sie nicht nur über das Selbstverständnis Ugandas, sondern auch über die Zukunftsperspektiven auf dem Planeten insgesamt.
Michele Sibiloni (*1981) ist italienischer Fotograf und Videofilmer. Er lebt zur Zeit zwischen Italien und Uganda. Er hat über zahlreiche politische Ereignisse, insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent Bildmaterial geliefert; die Unabhängigkeit des Südsudans, die ugandischen Wahlen, die ägyptische Revolution, den libyschen Aufstand, die M23-Rebellion in der D.R.C. und den versuchten Staatsstreich in Burundi im Jahr 2015. Seine redaktionellen Arbeiten wurden in vielen Journalen und Magazinen (New York Times, British Journal of Photography, Vice, The Wall Street Journal, Bloomberg Businessweek, M magazine und Wired) veröffentlicht. Zwischen 2012 und 2014 hat er das Nachtleben Kampalas, der ugandischen Hauptstadt dokumentiert, 2016 wurde das Projekt zu "Fuck it", einem Fotobuch, das von der Edition Patrick Frey veröffentlicht wurde. Time Magazine, Internazionale, Sleek-Mag und Photo-book store UK haben es zu den besten Fotobüchern des Jahres gewählt. "Nsenene Republic" ist ein laufendes Projekt über die Heuschreckenjagd in Uganda. Es stand auf der Shortlist für den Pop CAP 2018 (Preis für zeitgenössische afrikanische Fotografie), ein Stipendium des Photographic Museum of Humanity und die Aperture Summer Open 2019.
Robert Kyagulanyi Ssentamu (*1982) ist im Distrikt Mpigi (heute ein Teil des Distrikts Gomba) geboren. Besser ist er bekannt unter seinem Künstlernamen Bobi Wine. Er ist ugandischer Politiker, Musiker, Schauspieler und Philanthrop. Seit 2017 vertritt er den Wahlkreis Kyadondo East im Distrikt Wakiso im Parlament von Uganda. In Anlehnung an seinen sozialen Hintergrund wird er von den Medien auch "Ghetto President" genannt. Weltweite Aufmerksamkeit erregte im August 2018 seine Inhaftierung und eine damit einhergehende Anklage wegen Hochverrats. (Quelle: Wikipedia)
Weitere Texte sind von Katende Kamadi (Chairman of Basenene Tukolerewamu Traders Association) und Francis Sengendo (Entomologe)
Die Edition Patrick Frey hat seit ihrer Gründung 1986 mehr als 300 Bücher veröffentlicht. Der Verlag arbeitet in engen Kollaborationen mit hauptsächlich Schweizer, aber auch internationalen Künstlern zusammen. So entstehen einmalige Projekte in kleinen Auflagen. Die Edition Patrick Frey bietet jungen Künstlern eine Plattform und die Möglichkeit für eine erste Publikation. Ausserdem ist der Verlag in Langzeitkollaborationen mit renommierten Künstlern wie Walter Pfeiffer, Karen Kilimnik, Anne-Lise Coste, Peter Fischli & David Weiss und Andreas Züst involviert. Mit einem Output von etwa 20 Büchern pro Jahr, liegt der Fokus auf Fotografie, Kunst und auf Projekten, die Popkultur und das Alltägliche thematisieren.
Nsenene (ISBN 978-3-907236-13-0) kann direkt bei der Edition Patrick Frey oder im Buchhandel bezogen werden.
[1] Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) ist eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen, die die internationalen Bemühungen zur Bekämpfung des Hungers anführt. Ihr Ziel: Ernährungssicherheit für alle zu erreichen und sicherzustellen, dass die Menschen regelmässig Zugang zu ausreichend hochwertigen Nahrungsmitteln haben, um ein aktives, gesundes Leben zu führen. Mit über 194 Mitgliedsstaaten arbeitet die FAO in über 130 Ländern weltweit. (Quelle: FAO)
[2] Die Insektenkunde (lateinisch insectum, wörtlich das Eingeschnittene, von insecare einschneiden, einkerben) oder Entomologie (griechisch Insekt, das Eingeschnittene, einschneiden) ist ein Zweig der Zoologie, der sich mit Insekten (Insecta), der artenreichsten Gruppe von Lebewesen, befasst. Ein Insektenforscher wird fachsprachlich als Entomologe bezeichnet. (Quelle: Wikipedia)