Musée des Beaux-Arts | Le Locle
16. Februar - 26. Mai 2019
Eine Saison für Künstlerinnen
Viviane Sassen, Sophie Bouvier Ausländer, SMITH, Laura Letinsky, Lili Erzinger und Sandrine Pelletier
Obwohl der kulturell begründete Ausschluss der Frauen aus der künstlerischen Ausbildung und Praxis längst der Vergangenheit angehört, ist die Bemühung um die Überwindung der Unsichtbarkeit, unter der sie als Schöpferinnen und Künstlerinnen leiden, heute nicht weniger gefragt.
In den 1970er Jahren bewirkte die Befreiungsbewegung der Frauen allenfalls eine Zunahme der Gemeinschaftsausstellungen von Künstlerinnen, doch eine verstärkte Präsenz weiblicher Künstler in den Galerien oder ein Anstieg der Einzelausstellungen von Künstlerinnen blieben in diesem Jahrzehnt aus.
Zweifellos ist das Ziel der Gleichstellung selbst im 21. Jahrhundert immer noch nicht erreicht. Nachdem die Frauen in der Kunst so lange unsichtbar geblieben sind, möchte das MBAL, dem Beispiel der Gesellschaft folgend, mehr Gleichgewicht herstellen und den Einzug von Werken weiblicher Künstler im Museum fördern.
Die Perspektive, aus der Viviane Sassen, Sophie Bouvier Ausländer, SMITH, Laura Letinsky, Lili Erzinger und Sandrine Pelletier die Welt und ihre Abbilder betrachten, ist untrennbar mit der Genderthematik verbunden.
Nathalie Herschdorfer Direktorin
Im Märchen symbolisiert der Spiegel die Tür zu einer anderen Welt. Die niederländische Künstlerin Viviane Sassen (g. 1972) versteht ihre fotografische Arbeit als Spiegel, als Art und Weise, sich mit der Welt der Träume auseinanderzusetzen und mithilfe alltäglicher Erfahrungen das Unbewusste zu erfassen. Die Ausstellung, deren Fotografien im Lauf der letzten zehn Jahre entstanden sind, bildet eine überraschende Zusammenfassung des Werkes dieser international hoch angesehenen Künstlerin, die einem Selbstporträt nahekommt. Mithilfe der Fotografie verewigt sie das Ungewohnte, Unerklärbare und Fantastische. Hot Mirror vereint die unterschiedlichen Werke von Sassen: Man findet darin die Fotografien der Serie Flamboya, die in Kenia entstanden sind, wo Sassen drei Jahre ihrer Kindheit verbracht hat, die Fotografien aus Parasomnia, die sich mit dem Gefühl der Distanz zwischen Wachzustand und Schlaf befassen, jene aus UMBRA, die das Thema des physischen und psychischen Schattens erkunden, sowie ihre jüngste Reihe Of Mud and Lotus, in der die Verfremdung der Werke durch Collage oder Malerei die Themen, die ihr am Herzen liegen versinnbildlicht: Mutterschaft und Fruchtbarkeit. Schließlich entführt Sassen uns mit TOTEM, einer überwältigenden Installation aus bewegten Bildern und Spiegeln, in ihre faszinierende Welt. Hier tritt die Anwesenheit der Besucher, die in eine unendliche Landschaft getaucht und in Schlagschatten verwandelt werden, in Interaktion mit der Projektion der Künstlerin, die uns erneut unserer Orientierung beraubt. Die visuellen Gedichte von Sassen sind deshalb wie Spiegel, die den Betrachter mit seinen eigenen Fragen konfrontieren, anstatt ihm die Antworten zu liefern.
Die Ausstellung wird vom MBAL und dem britischen Museum The Hepworth Wakefield produziert. Ein von Prestel Editions auf Englisch veröffentlichtes Buch begleitet die Ausstellung. Die Künstlerin wird von der Stevenson Gallery, Kapstadt, vertreten.
Sophie Bouvier Ausländer (1970) füllt den historischen Raum des MBAL mit Mare Vostrum. Dieses vor Ort geschaffene Monumentalwerk der schweizerischen Künstlerin wurde von dem Buch von Marie NDiaye Trois femmes puissantes (Prix Goncourt 2009) inspiriert. In diesem Wirrwarr aus Zeichnung, Gemälde und Skulptur wickeln sich Kilometer von Stacheldraht um sich selbst und fangen verschiedene Arten von Staub ein, während sie durch ihre Bewegung Gemäldefetzen mitreissen. Die zehn Kugeln erinnern an Steppenläufer, jene Wüstenpflanzen, die trocknen, sich von ihren Wurzeln lösen und vom Wind getragen herumwirbeln. Im Mittelpunkt dieser Installation, deren lateinischer Titel Mare Vostrum („Euer Meer“) auf die zwischen 2013 und 2014 von Italien zur Rettung der Flüchtlinge aus dem Mittelmeer ins Leben gerufene Aktion Mare Nostrum („Unser Meer“) anspielt, steht die Flüchtlingsthematik. Das aus einer Anhäufung bunt zusammengewürfelter, unterwegs gesammelter Elemente bestehende Werk Mare Vostrum stellt die Gesellschaften dar, die mitgerissen werden vom Wind des Wandels und dabei in einen unbezwingbaren Sturm geraten.
Die Künstlerin wird von der Galerie Heinzer Reszler, Lausanne, vertreten. Die Ausstellung von Sophie Bouvier Ausländer wurde von Arts Visuels Vaud und dem Kanton Waadt unterstützt.
Das Werk von Laura Letinsky (g. 1962) entführt uns in eine andere Zeit. Letinsky arbeitet mit Polaroid-Filmen Typ 55, dem berühmten Sofortbildverfahren, welches einmaliges Bild liefert. Sie fotografiert Obst, Blumen, Nahrungsmittel, Geräte und Gegenstände des alltäglichen Lebens. Wer die Arbeit der kanadischen Fotografin kennt, findet hier ihre Stillleben wieder, eine Disziplin, in der sie sich seit den 1990er Jahren auszeichnet. Wie zahlreiche Fotografen vor dem digitalen Zeitalter verwendete sie den Polaroid-Film zu Testzwecken. Als sie diese Abzüge vernichten wollte, war sie fasziniert von ihrem Qualitätsverlust. Das Material selbst stellte eine Auseinandersetzung mit der Verletzlichkeit des Lebens dar, indem es einen unberechenbaren Prozess durchlaufen hatte. Während die Digitalisierung die zeitgenössische Fotografie entmaterialisiert und ihr durch zahlreiche Aspekte Schärfe und Strahlkraft verleiht, fesselt uns der Qualitätsverlust der Polaroid-Fotos von Letinsky, der durch die Chemie, den Zufall und den Lauf der Zeit verursacht wird. Etwas Geheimnisvolles und Ungewohntes geht von ihnen aus, während sie zugleich die Vergänglichkeit des Lebens versinnbildlichen.
Die Ausstellung wird von einem bei Radius Books in englischer Sprache erschienenen Buch begleitet, mit einem Text von Nathalie Herschdorfer. Die Künstlerin wird von der Galerie Yancey Richardson, New York, vertreten.
Die französische Künstler·in SMITH (g. 1985) entwickelt ein Werk, in dem die eigene Metamorphose eine zentrale Position einnimmt. Ihre poetischen Bilder laden zur Meditation ein und wecken die Erinnerung an nicht anwesende Körper. Ihre Spectrographies, die mit Laborbildern vergleichbar sind, befassen sich mit den modernen Technologien, die uns die Möglichkeit bieten, mithilfe eines Bildschirms physisch abwesende Personen anzuschauen, mit ihnen Kontakt aufzunehmen und zu kommunizieren. Hierfür hat sich SMITH mit einer Wärmebildkamera ausgestattet, um ihre Erkundung einer verfremdeten Anatomie fortzuführen, im Bestreben, die Überwindung der körperlichen Grenzen darzustellen. Ihre Wärmebilder–oder Thermogramme –sind Phantome, die die Abwesenheit bannen. Der Film zur Begleitung der Reihe zeigt eine Person, die alleine durch die Nacht irrt. Auch hier verwandelt sich der Körper in ein Phantom. Das Nichtvorhandensein wird zur darstellerischen Stärke, die seine Anwesenheit durch Betonung behauptet. In dieser Auseinandersetzung mit dem Unsichtbaren wird das verschwundene Dasein gegenwärtig. Die Künstlerin vereint Philosophie, Literatur, Film, Wissenschaft und Psychoanalyse in einem Werk, welches das Unsichtbare sichtbar werden lässt.
Die Ausstellung wird in Zusammenarbeit mit der Galerie Les Filles du Calvaire, Paris, veranstaltet. Ein Interview mit der Künstlerin durch Joël Vacheron erscheint in der Reihe „Could you talk about…“, die dreimal im Jahr vom MBAL veröffentlicht wird.
Die Ausstellung Trace(s) in der Galerie C in Neuenburg zeigt auch eine Reihe von Bildern von SMITH bis zum 23. Februar 2019.
Das MBAL besitzt eine umfangreiche Sammlung an Gemälden der Künstlerin Lili Erzinger. Das Werk dieser Wegbereiterin der abstrakten Kunst in der Schweiz ist in der Öffentlichkeit immer noch weitgehend unbekannt. Im Bestreben, dieses künstlerische Erbe zugänglich zu machen, präsentiert das Museum eine Auswahl ihrer Gemälde in Begleitung von Archivgegenständen –aus einem Neuerwerb –, die ihr spannendes Leben zwischen Zürich, ihrer Geburtsstadt, Paris, wo sie in den 1930er Jahren bei Fernand Léger in die Lehre ging, und ihrer Heimat Neuenburg nachzeichnen.
(Text: Musée des beaux Arts, Le Locle)