Fotostiftung Schweiz | Winterthur
2. Juni - 9. September 2018
Double Take
Jojakim Cortis & Adrian Sonderegger
Fünf Jahre lang arbeitete das Zürcher Künstlerduo Jojakim Cortis & Adrian Sonderegger an einem Projekt, das nicht nur durch sein Konzept besticht, sondern auch durch seine Vielschichtigkeit und ästhetische Kraft. "Double Take" ist ein verführerisches Spiel mit ikonischen Bildern der internationalen Fotogeschichte: Aufnahmen, die sich ins kollektive Gedächtnis eingeprägt haben, werden als dreidimensionale Modelle nachgebaut – eine akribische Bricolage aus Karton, Sand, Holz, Stoff, Watte und Gips – und so fotografiert, dass sich wiederum ein Bild ergibt, das der ursprünglichen Szene verblüffend nahe kommt. Die Illusion wird aber humorvoll gebrochen durch die ins Bild einbezogene Ateliersituation sowie Überbleibsel vom Aufbau der rekonstruierten Szenen. Das Abbild des Abbilds des Abbilds der Wirklichkeit wird zu einem schwindelerregenden metaphysischen Erlebnis: Was ist real? Und können wir unserer Wahrnehmung trauen?
"Making of ..."
"Double Take" ist viel mehr als eine trockene erkenntnistheoretische Übung. Es handelt sich um ein höchst attraktives, erfindungsreiches und augenzwinkerndes Spekulieren, mit dem die Künstler unsere Schaulust wecken. Ihre präzisen, detailreichen und grossformatigen Fotografien bieten ein vertracktes Entdeckungs- und Verwirrspiel, bei dem man sich in den Einzelheiten der ursprünglichen Fotografie verlieren kann, zugleich aber auch mit detektivischer Neugierde das Geheimnis des "Making of..." im Atelier entschlüsseln möchte. Die scheinbar zufällig liegen gebliebenen Geräte und Materialien vermitteln den Eindruck, als hätten die Modellbauer gerade erst den letzten Pinselstrich ausgeführt. Der verewigte Moment wird durch die provisorische, temporäre Installation in Frage gestellt, der zeitlose Mythos auf den trivialen Alltag heruntergebrochen.
Icônes de l'histoire photographique et de l'histoire contemporaine
Inhaltlich konzentrieren sich Jojakim Cortis & Adrian Sonderegger einerseits auf Bilder von historisch bedeutsamen Ereignissen: vom ersten motorisierten Flug der Gebrüder Wright 1903 über die Hindenburg-Katastrophe 1937 bis hin zum Atompilz von Nagasaki 1945 oder zum Terroranschlag auf die Twin Towers 2001. Anderseits widmen sie sich fotografischen Werken, die unbedeutende Ereignisse darstellen, aber trotzdem in keiner Fotografiegeschichte fehlen dürfen: Henri Cartier-Bressons Aufnahme eines Mannes, der beim Gare St. Lazare über eine Pfütze springt (1932) oder Harold Edgertons aufprallender Milchtropfen, der in der Fotografie zu einer Krone erstarrt (1957). Mit dieser Parallelführung machen die Künstler deutlich, dass ihre Werke nicht so sehr auf reale Ereignisse, sondern in erster Linie auf andere Bilder verweisen – auf Einzelbilder, aus denen sich unser grosses Welt-Bild zusammensetzt.
Medienkritische Reflexion und fröhlicher Streich
Konstruktion, Dekonstruktion, Rekonstruktion: So verführerisch es ist, sich die Vergangenheit in Form von Bildern zu vergegenwärtigen und mittels Ikonen die Welt zu erklären, so problematisch ist die "Wahrheit" dieser Bilder. Die Arbeit von Jojakim Cortis & Adrian Sonderegger ruft spielerisch und humorvoll in Erinnerung, dass Fotografien fragil, willkürlich und hochgradig manipulierbar sind – in einigen Fällen sind sie nicht mehr als das Zeugnis einer Perspektive. Es ist gerade diese kreative Skepsis, die der Arbeit "Double Take" so grosse Aktualität verleiht. In einer Zeit, in der die medialen Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit verfliessen und das Schlagwort "postfaktisch" die Runde macht, fordert sie dazu heraus, unser Verhältnis zur Fotografie zu überprüfen.
Die Ausstellung
Die Ausstellung "Jojakim Cortis & Adrian Sonderegger – Double Take" gibt erstmals einen nahezu vollständigen Überblick über die Werkreihe der Ikonen. Sie präsentiert 42 für diese Ausstellung produzierte, meist grossformatige Abzüge. In Gruppierungen, Dialogen und Gegenüberstellungen werden weitere Ebenen der Lektüre und Fragestellungen angedeutet: Was macht eine Fotografie zeitlos? Welche visuellen Codes – Körperhaltungen, Gesten, Perspektiven, Kompositionen, bildhaften Ereignisse – setzen sich im Gedächtnis fest? Wie konditionieren wiederkehrende, zig-fach reproduzierte Bilder unsere Sehweise und damit unsere Vorstellung von Wirklichkeit? Welche gesellschaftlichen Mythen, politischen und kommerziellen Programme verbergen sich hinter Ikonen? Woher rührt die Macht dieser Fotografien, und welche Nutzungs- und Kanonisierungsprozesse begründen ihren Sonderstatus? Der Akt der Dekonstruktion gipfelt in einem Arrangement mit Überresten der dreidimensionalen Rekonstruktionen sowie filmischen Dokumentationen des Modellbaus, die einen Einblick in die Trickkiste der Künstler erlauben.
Eine Ausstellung der Fotostiftung Schweiz in Zusammenarbeit mit C/O Berlin. Kurator der Ausstellung in Winterthur: Sascha Renner.
Jojakim Cortis, geboren 1978 in Aachen (D), lebt seit 2001 in Zürich. Adrian Sonderegger, geboren 1980 in Bülach, lebt seit 2001 in Zürich. Beide studierten Fotografie an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK), wo ihre Zusammenarbeit begann. Seit Abschluss ihres Studiums 2006 arbeiten sie als freie Fotografen/Künstler und unterrichten an verschiedenen Kunstschulen. Ihre Bilder wurden an zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland gezeigt, unter anderen am Festival Images in Vevey (CH), im Museum Folkwang in Essen (D), aber auch an Festivals in Polen und China.
(Pressetext)