Einträge in Documentary
Asche...
Hüftimplantat, 2020 | © Tina Ruisinger

Hüftimplantat, 2020 | © Tina Ruisinger

“Das einzig Wichtige im Leben, sind die Spuren von Liebe, die wir hinterlassen, wenn wir gehen." 

Albert Schweizer

Hüftpfanne, 2020 | © Tina Ruisinger

Hüftpfanne, 2020 | © Tina Ruisinger

Mit "Ashes" hinterfragt die Fotografin Tina Ruisinger was am Ende bleibt. Nach der Kremation bleibt nicht nur Asche – in verschiedenen Farbtönen – zurück, sondern auch Dinge, die nicht verbrennen, die bei über 1000° Celsius nicht verschwinden. Manchmal sind es Dinge, die Erinnerungen an Menschen wecken, die nicht mehr da sind… Wie eine Archäologin der Gegenwart sucht Tina Ruisinger in der Asche nach Überbleibseln von Biografien und lässt sie vor dem Objektiv zu Kleinoden von rätselhafter Schönheit erblühen.

Glöckchen | © Tina Ruisinger

Glöckchen | © Tina Ruisinger

Bereits in der Altsteinzeit gab man Verstorbenen Gegenstände ins Jenseits mit. Für die alten Ägypter, für Kelten aber auch für Römer war es klar, dass Verstorbene auf ihrem Weg ins Jenseits Waffen, Proviant und Geld brauchen. Dass diese Sitte bis heute lebendig ist haben Ofenmeister tagtäglich in Krematorien vor Augen. Dies wirft natürlich Fragen auf: Was darf man heute in den Sarg mitgeben? Darf man seinem besten Freund seinen Lieblings-Rum mit auf die letzte Reise geben? Was passiert mit dem künstlichen Kniegelenk, das meiner Mutter eingesetzt wurde? Vielleicht taucht auch die Frage nach der Farbe der Asche auf…

Stent | © Tina Ruisinger

Stent | © Tina Ruisinger

Eltern möchten ihrem viel zu früh verstorbenen Kind vielleicht den Lieblings-Teddy mitgeben, damit es den letzten Weg nicht alleine gehen muss. Oft sind es aber auch Familienfotos, Kinderzeichnungen oder Briefe, in denen Unausgesprochenes steht, die in den Sarg gelegt werden… Dem passionierten Bergsteiger wird ein Seil, dem Raucher die Pfeife, die Lieblingszigarre oder eine Schachtel Zigaretten auf die Reise mitgegeben. 

Alles Explosive hingegen sollte nicht in den Sarg gelegt werden – der Lieblings-Whisky oder der Lieblings-Champagner sollte in Erinnerung an den Onkel, der besten Freundin genossen werden…

Pacemaker | © Tina Ruisinger

Pacemaker | © Tina Ruisinger

Die Bilder des Übriggebliebenen machen nachdenklich, still und demütig zugleich. Vielleicht beginnt man sich gar Gedanken zu machen was man selbst auf der letzten Reise dabei haben möchte. Vielleicht entstehen Gespräche mit den Angehörigen und sie erzählen, wie sie es sich wünschen…

Brille | © Tina Ruisinger

Brille | © Tina Ruisinger

Tina Ruisinger (1969*) in Stuttgart geboren, hat an der Hamburger Fotoschule, am International Center of Photography in New York und an der ZHdK in Zürich studiert. Seit den frühen Neunzigern arbeitet sie selbstständig in den Bereichen Reportage, Porträt und Tanz/Performance, sowie an interdisziplinären künstlerischen Projekten unter Verwendung von Fotografie, Video, Sound und Text. Schwerpunkt ihrer Arbeit war/ist immer der Mensch in seiner Lebenskraft, Unbeständigkeit und Sterblichkeit. 2002 erschien der Fotoband Gesichter der Fotografie, über 50 Meisterfotografen des 20. Jahrhunderts, der internationale Anerkennung erhielt und 2007 das Tanzbuch Meg Stuart/Anne Teresa de Keersmaeker über zwei der einflussreichsten Choreografinnen unserer heutigen Zeit. Mit der Arbeit Traces vertieft sie sich noch mehr in die Thematik von Verlust und Erinnerung. Sie hat zahlreiche Preise und Stipendien gewonnen. Ihre Arbeit wurde/wird international sowohl in Einzel- als auch in Gruppenausstellungen gezeigt. Neben ihren freien Projekten realisiert sie Auftragsarbeiten, u.a. für die Rolex Mentor and Protégé Arts Initiative. 2019 hat sie eine Weiterbildung in Palliative Care absolviert und bildet sich derzeit in Phototherapie weiter. Tina Ruisinger lebt und arbeitet in Berlin und Zürich.

© Tina Ruisinger

© Tina Ruisinger

Die Arbeit "Asche – und was am Ende bleibt" kann im Friedhof Forum auf dem Friedhof Sihlfeld in Zürich bis voraussichtlich 15. Juli 2021 besichtigt werden. Zudem ist eine Publikation geplant.

Art, DocumentaryMiryam Abebe
je te regarde et tu dis...
George Flood-Hunt, Dompierre, mars 2020 © Thomas Kern

George Flood-Hunt, Dompierre, mars 2020 © Thomas Kern

"Das Wesentliche. Und es geht immer um das Wesentliche. Uns bleibt so wenig, mit dem wir weitermachen können. Nur die Gegenwart ist so ausgefüllt, dass sie uns komplett erscheint, und auch das ist eine optische Täuschung. Der Augenblick. Wir leben am Abgrund unserer Wahrnehmungen. Und am Rand eines jeden gelebten Augenblicks schert es die Welt ab, wie eine

Eisklippe ins Meer des Vergessens."  

Double Negative, Ivan Vladislavic[1], 2015

Mit diesem Zitat von Ivan Vladislavic beginnt Thomas Kern seinen Projektantrag für die "Enquête photographique fribourgoise" und trifft damit ins Schwarze. Es entspricht seiner Arbeitsweise, sich auf das Wesentliche zu beschränken und jede Ablenkung zu vermeiden. Vom Gegenüber verlangt er Fokussierung auf den Augenblick, Konzentration und die Bereitschaft sich selbst zu bleiben, sich keine Maske überzuziehen.  

Ohne Titel, Tusche auf Papier © Thomas Kern

Ohne Titel, Tusche auf Papier © Thomas Kern

Für die "Enquête photographique fribourgoise" überquert Thomas Kern nicht nur den Röstigraben, sondern verlässt auch die vermeintlich festgelegten Pfade eines Fotografen. Sowohl in der Ausstellung als auch im Buch findet man Tuschzeichnungen und skulpturale Elemente. Auf die Frage warum in der Ausstellung auch Zeichnungen und Objekte zu sehen sind, reagiert der Fotograf mit Augenrollen und leichtem Kopfschütteln. Selbstverständlich stellt man sich Fragen, wenn ein Fotograf plötzlich zeichnet, diese Bilder nicht auf die gleiche Weise lesbar sind wie eine Fotografie und man eine Erklärung nach ihrer Bedeutung sucht. Die Antwort ist einfach: Eine Fotografie von Thomas Kern muss man nicht erklären, denn sie ist unmissverständlich. Aber eine Tuschzeichnung? Es scheitert an unseren Sehgewohnheiten. Darf ein Fotograf denn plötzlich auch zeichnen? Bilder, die scheinbar keine Bedeutung haben? Nicht alles lässt sich erklären – der Gedankenanstoss muss genügen. 

Immaculée Mosoba, Fribourg, juillet 2020 © Thomas Kern

Immaculée Mosoba, Fribourg, juillet 2020 © Thomas Kern

Natürlich ist man neugierig und möchte wissen, wie der Fotograf zu den einzelnen Menschen gekommen ist. Jean-François Haas[2] ist ein Freiburger Schriftsteller und er war eine Art Ausgangspunkt für die spannende Reise durch den zweisprachigen Kanton Freiburg. In der Serie "je te regarde et tu dis" gibt es nichts, was die Porträtierten miteinander verbindet. Abgesehen von wenigen Ausnahmen kannte Kern die Protagonisten seiner Porträts vorher nicht und traf sie zum Fotografieren zum allerersten Mal, die Auswahl wollte er so weit wie möglich dem Zufall überlassen.  

Georgette Perrin-Hänggeli, Semsales, février 2020 © Thomas Kern

Georgette Perrin-Hänggeli, Semsales, février 2020 © Thomas Kern

Von rund 60 fotografierten Porträts haben es 50 ins Buch geschafft. Die Auswahl für die Ausstellung ist noch einmal konzentrierter. Das Auswahlkriterium am Schluss für die einzelnen Bilder war aber nicht nur ihre Qualität, sondern es war vielmehr das Bauchgefühl, das ausschlaggebend war. Natürlich gab es auch formale Aspekte, oder die offensichtlichen Unterscheidungsmerkmale der Porträtierten wie Alter, Geschlecht, Herkunft und die Umgebung, die entsprechend zur Auswahl beigetragen haben. Den Zugang zu seinen Bildern beschreibt Thomas Kern so: "Es ist genau diese Intensität, nach der ich suche. Die Anwesenheit eines Körpers im Raum, der ruhige Blick, die langsame Annäherung. Ich versuche eine Situation zu schaffen, in der das Machen des Bildes zum Austausch wird, in der es zwischen mir und der fotografierten Person für einen Moment keinen Unterschied mehr gibt und wir koexistieren.” 

Attila Coursin, Fribourg, juillet 2020 © Thomas Kern

Attila Coursin, Fribourg, juillet 2020 © Thomas Kern

Der Fotograf und Künstler Thomas Kern wurde 1965 in der Schweiz geboren. Er absolvierte in Zürich seine Ausbildung. Ab 1989 war er als freier Reportagefotograf u.a. in Nordirland, Kurdistan, im Nahen Osten, im ehemaligen Jugoslawien und in den USA unterwegs. 1990 war er einer der Gründer der Schweizer Fotoagentur Lookat Photos. Von 1998 – 2006 lebte er als freischaffender Fotograf in San Francisco. 1997 reiste er im Auftrag der Zeitschrift Du zum ersten Mal nach Haiti. Sein grosser Bildessay über den Karibikstaat wurde 2017 von der Fotostiftung Schweiz in Winterthur gezeigt und gleichzeitig als Buch publiziert. Zweimal wurde er je mit einem Swiss Press Award und dem renommierten World Press Photo Award in den Kategorien "Daily Life, Einzelbilder" und "Daily Life, Stories" ausgezeichnet. Seine Bilder wurden in zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland präsentiert. Zudem ist er mit seinen Arbeiten in zahlreichen privaten und öffentlichen Sammlungen vertreten. Schon vor Jahren begann Thomas Kern sich vom journalistischen Teil seiner Arbeit langsam zu entfernen. Die Faszination für das tatsächlich existierende Leben ist aber bis heute geblieben. 

Ohne Titel, Tusche auf Papier © Thomas Kern

Ohne Titel, Tusche auf Papier © Thomas Kern

Die Kunsthalle Fri Art ist seit 1982 Produktionsort, Labor, Sprungbrett, Experimentierfeld und Treffpunkt für schweizerische und internationale Kunstschaffende und Kuratorinnen und Kuratoren. Sie zeigt jährlich 4-6 Ausstellungen und organisiert Anlässe. Sie ist Teil eines Netzwerks von Räumen für zeitgenössische Kunst und Mitglieder des Vereins Schweizer Institutionen zeitgenössischer Kunst (AISAC-VSIZK), des Verbands der Museen des Kantons Freiburg und des Vereins C, eine Verbindung professioneller Kulturorganisationen des Kantons Freiburg.

Berhanu Girma, Fribourg, mars 2020 © Thomas Kern

Berhanu Girma, Fribourg, mars 2020 © Thomas Kern

Im Jahr 1996 rief der Staatsrat auf Vorschlag der Direktion für Erziehung, Kultur und Sport die "Enquête photographique fribourgoise" ins Leben. Seither beauftragt der Kanton alle zwei Jahre eine Fotografin oder einen Fotografen mit einer Fotoreportage. Das Thema oder der Gegenstand der Reportage muss einen Bezug zum Kanton Freiburg haben (Ort, Ereignis, Persönlichkeit usw.) und bei der Einreichung des Projekts noch unveröffentlicht sein. Die Preisträgerin oder der Preisträger erhält für die Realisierung des Projekts ein Stipendium. Diese Initiative dient der Förderung des fotografischen Schaffens und zugleich dem schrittweisen Aufbau einer zeitgenössischen Fotosammlung zum Kanton. Die nächste Ausgabe der "Enquête photographique fribourgoise" wird im ersten Quartal von 2021 ausgeschrieben.

Ohne Titel, Acryl auf Papier, Mixed Media © Thomas Kern

Ohne Titel, Acryl auf Papier, Mixed Media © Thomas Kern

Die Galerie & Edition Stephan Witschi hat sich der Fine Art Fotografie und der Malerei verschrieben. Ihre Aufmerksamkeit richtet sich insbesondere auf Positionen, die ihren eigenen künstlerischen Weg verfolgen und dabei unabhängig von Trends nahezu zeitlos aktuell bleiben. In ihrem Programm, das sich durch Diversität und Gegenwartsbezogenheit auszeichnet, sind sowohl international renommierte Künstler*innen wie Jungjin Lee als auch aufstrebende Fine Art-Fotografen*innen wie Ester Vonplon, die durch Museumsausstellungen und Preise ihren Platz in der internationalen Kunstszene gefunden haben. Klare Haltungen, starke Aussagen und hohe Qualität bilden den gemeinsamen Nenner der von der Galerie vertretenen Künstler*innen, denen oftmals feinsinnig ein kritischer Geist innewohnt. 

Das Buch "je te regarde et tu dis" (ISBN 978-3-906191-16-4) kann direkt bei der Galerie & Edition Stephan Witschi oder im Buchhandel bezogen werden.

Die Ausstellung "je te regarde et tu dis" von Thomas Kern in der Fri Art Kunsthalle in Fribourg ist eingerichtet. Die Museen im Kanton Fribourg sind momentan als Teil der Massnahmen gegen die Verbreitung des Covid-19 Virus aber geschlossen. Eine mögliche Lockerung dieser Massnahmen ist frühestens für den 10. Dezember vorgesehen.

[1] Ivan Vladislavic (*1957 in Pretoria) ist ein südafrikanischer Schriftsteller. Er studierte afrikaanse und englische Literatur an der University of the Witwatersrand. Seit den 1970er Jahre lebt er in Johannesburg. Er ist Autor von Essays, Romanen und Erzählungen, gab Werke zu zeitgenössischer Kunst und Architektur heraus und schrieb Texte für Bücher der Fotografen David Goldblatt und Roger Palmer

[2] Jean-François Haas (*1952) ist in Courtaman, wo er heute noch lebt, in einer 8köpfigen Familie aufgewachsen. Er studierte am Kollegium Saint-Maurice im Wallis und schloss an der Universität Freiburg französischer Literatur, romanische Philologie und Geschichte ab. Für seinen ersten Roman "Dans la gueule de la baleine guerre" wurde er mit dem Schillerpreis ausgezeichnet.