Krieg ohne Ende - Das Drama der Mutter Hoang The und ihrer Kinder

Da Nang 07.12.2013 - Familie mit Agent Orange-Opfern: Tran Thi Ty (Tochter, 39) mit ihrer Trainingsmaschine. | © Roland Schmid

Da Nang 07.12.2013 - Familie mit Agent Orange-Opfern: Tran Thi Ty (Tochter, 39) mit ihrer Trainingsmaschine. | © Roland Schmid

Mutter Hoang The lebt in einem sumpfigen Aussenquartier von Da Nang, zusammen mit ihren beiden erwachsenen Kindern. Ihr Mann, Tran Ran, starb an den Folgen von Agent Orange. Im Krieg war er als Meldeläufer des Widerstandes oft mit diesem hochgiftigen dioxinhaltigen Entlaubungsmittel in Berührung gekommen. Das Herbizid wurde zusammen mit andern Pflanzengiften von den USA über Wäldern und Reisfeldern versprüht.

Da Nang 07.12.2013 - Familie mit Agent Orange-Opfern: Tran Thi Ty (Tochter, 39) mit ihrer Trainingsmaschine. | © Roland Schmid

Da Nang 07.12.2013 - Familie mit Agent Orange-Opfern: Tran Thi Ty (Tochter, 39) mit ihrer Trainingsmaschine. | © Roland Schmid

Während des Vietnamkrieges lag in der Nähe die Grenze zwischen dem kommunistischen Norden und dem amerikanisierten Süden. Da Nang, die heutige Millionenstadt im tropischen Zentralvietnam, war eine der wichtigsten Basen der US-Armee. Hier befand sich ihr grösster Luftwaffenstützpunkt.

Da Nang 07.12.2013 - Familie mit Agent Orange-Opfern: Hoang Thi The und Tran Duc Ngia (Sohn, 33). | © Roland Schmid

Da Nang 07.12.2013 - Familie mit Agent Orange-Opfern: Hoang Thi The und Tran Duc Ngia (Sohn, 33). | © Roland Schmid

Die beiden Töchter von Hoang The sind schwer körperlich und geistig behindert, beide sind Dioxinopfer. Das Haus mit seinem Wellblechdach ist heruntergekommen, die Räume sind dunkel und feucht. An den Betonwänden zeigen schmutzige Streifen den Wasserstand der letzten Überschwemmungen. Siebenmal mussten die Bewohner schon vorübergehend ausziehen, um nicht im eigenen Bett zu ertrinken.

Tochter Tran Thi Nga, dreiunddreissig Jahre alt, kann sich mit einer Art klapprigem Rollator und mit Mutters Hilfe mühsamst noch etwas fortbewegen. Auf diesem vorsintflutlichen Gerät kämpft sie sich unter grosser Anstrengung durch tägliche Bewegungstherapien. Seit ihrer Geburt wird sie von einem Stützkorsett aufrecht gehalten. Bis sie neun war, konnte sie noch ein paar Schritte gehen. Ihre Mutter ist seit Jahrzehnten am Limit. Manchmal stürze ihre Tochter, sagt sie. Tran Thi Nga ist übergewichtig. «Alleine schaffe ich es nicht, sie hochzuheben, und muss Nachbarn holen.»

Da Nang 07.12.2013 - Familie mit Agent Orange-Opfern: Hoang Thi The und Tran Thi Ty (Tochter, 39). | © Roland Schmid

Da Nang 07.12.2013 - Familie mit Agent Orange-Opfern: Hoang Thi The und Tran Thi Ty (Tochter, 39). | © Roland Schmid

Jeden Morgen um halb sechs steht die alte Frau auf. Zuerst bringt sie ihren Sohn zur Toilette, dann ihre Tochter. «Am schlimmsten sind die Nächte», erzählt Mutter The. «Die Kinder können oft nicht schlafen. Da mein Sohn sich nicht bewegen kann, muss ich ihn regelmässig umlagern, damit er nicht wundliegt. Manchmal kann ich vier Nächte hintereinander nicht schlafen.»

Hoang The setzt sich in einem kleinen, düsteren Nebenraum auf eine Holzpritsche. Dort liegt ihr Sohn Tran Duc Nghia, fünfunddreissig Jahre alt, gekrümmt, völlig regungslos, gelähmt. Eine kurze Zeit konnte er noch zur Schule, bis die Lehrer ihn von Klassenzimmer zu Klassenzimmer tragen mussten. Auch mentale Schäden stellten sich ein. Seit fast zwei Jahrzehnten hat er das Bett nicht mehr verlassen können. Verloren hat Nghia auch sein Gehör und seine Sprache. Die Ärzte befürchten, dass seiner Schwester dasselbe Schicksal droht. Auch sie durfte einst zur Schule – bis auch sie aufgeben musste.

Da Nang 07.12.2013 - Familie mit Agent Orange-Opfern: Tran Duc Ngia (Sohn, 33). | © Roland Schmid

Da Nang 07.12.2013 - Familie mit Agent Orange-Opfern: Tran Duc Ngia (Sohn, 33). | © Roland Schmid

Nachdem ihr Mann aus vierjähriger Kriegsgefangenschaft heimkehrte, habe er im Wasserwerk gearbeitet und gut verdient, erzählt die Mutter. «Ich konnte mir sogar goldene Ohrringe kaufen. Doch dann wurden unsere Kinder krank. Wir fuhren zur Behandlung immer wieder ins weit entfernte Saigon. Um die Rechnungen bezahlen zu können, mussten wir alles verkaufen: den Schmuck, das Haus, das Land.»

Geblieben ist ein Leben in grosser Armut. Es reicht nicht einmal für eine ausgewogene Ernährung und für Medikamente. Und geblieben sind Kinder, die nicht gesund geworden sind.

Da Nang 07.12.2013 - Familie mit Agent Orange-Opfern: Hoang Thi The (Mutter) | © Roland Schmid

Da Nang 07.12.2013 - Familie mit Agent Orange-Opfern: Hoang Thi The (Mutter) | © Roland Schmid

Peter Jaeggi ist freischaffender Autor, Fotograf sowie Reporter für Schweizer Radio SRF, Radio SWR2 und ORF1 sowie für verschiedene anderer nationale und internationale Medien. Schwerpunkte sind Arbeiten aus sozialen und naturwissenschaftlichen Bereichen.

Preisgekrönte Radio-Features von Peter Jaeggi über Agent Orange
Teil 1: https://soundcloud.com/aeschiried/spatfolgen-des-chemiewaffeneinsatzes-im-vietnamkrieg-teil-1
Teil 2: https://soundcloud.com/aeschiried/agent-orange-spaetfolgen-des

Roland Schmid ist freischaffender Fotojournalist. Er arbeitet für zahlreiche Schweizerische und internationale Medien und berichtet auch regelmässig aus Krisengebieten. Schwerpunktmässig berichtet er aus der Schweiz, aus Osteuropa und Asien.

Textauszüge und Bilder sind aus dem Buch Krieg ohne Ende, 2016 im Lenos Verlag

Bezugsquellen: Agent-Orange

Krieg ohne Ende

Spätfolgen des Vietnamkrieges
Agent Orange und andere Verbrechen

Konzept, Texte, Gestaltung: Peter Jaeggi
Bilder: Roland Schmid (Farbbilder), National Geographic (Schwarzweissbilder)

ISBN: 978 3 85787 473 4

Peter Jaeggi