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Krieg ohne Ende - Agent-Orange-Opfer in Armut

Phan Thi Cuc in Huong Xuan bei Hue. Sie ist die Mutter von Nguyen Huu An und Nguyen Thi Thanh Tuyen. Die beiden Kinder wurden mit schweren Missbildungen geboren. Ihr Vater lebte lange in der Agent-Orange-vergifteten Provinz Song Be. 1999 | © Roland Schmid

In fast zwei Dritteln der betroffenen Familien müssen die Eltern rund um die Uhr für ihre behinderten Kinder da sein. Das verunmöglicht einen Verdienst. Deshalb werden betroffene Familien immer ärmer. Etwa vierzig Prozent aller Herbizidopfer leben unter der Armutsgrenze.

Fischteich im Tal von A Luoi. Das Dioxin, das im Entlaubungsmittel Agent Orange enthalten war, iost in die Nahrungskette gelangt. Es gelangt zum Beispiel via Fische in den menschlichen Organismus. 1999 | © Roland Schmid

Wird ein behindertes Kind geboren, denken Eltern zuweilen: Nächstes Mal wird es bestimmt ein gesundes Baby geben. Ist jedoch das Erbgut durch Dioxin geschädigt oder das Dioxin noch immer im Organismus der Mutter, besteht die Gefahr, dass auch das nächste Kind Missbildungen haben wird.

Nguyen Huu An (l.), 5 Jahre alt, und Nguyen Thi Thanh Tuyen, 3 Jahre alt, mit ihrer Mutter in Huong Xuan bei Hue. Der Vater lebte in der Agent-Orange-vergifteten Provinz Song Be. Als auch sein zweites Kind mit Missbildungen zur Welt kam, nahm er sich das Leben. April 1999 | © Roland Schmid

Vor Jahren besuchten wir im Weiler Huong Xuan im Distrikt Cam Lo in der Provinz Quang Tri die damals einunddreissigjährige Mutter Phan Cuc. In ihrem Distrikt lagen einst gleich zwei US-Militärbasen, Camp Carroll und Mai Loc. In dieser Gegend gibt es viele Familien, die zum Teil mehrere Kinder mit Behinderungen haben. So hat der Weiler, der genau zwischen den beiden ehemaligen Militärbasen liegt, den zweifelhaften Ruf als das Agent-Orange-Dorf.

Die Schwestern Le Thi Hoai Nhon, 13 Jahre alt (vorne), und Le Thi Hoa, 22 Jahre alt (mitte), in der Provinz Quang Tri. Sie leiden am Grebes-Syndrom, an viel zu kurzen Gliedern, und Polydaktylie. Der Vater kaempfte in Agent-Orange-verseuchtem Gebiet. 1999 | © Roland Schmid

Manche Dörfer hier wurden zwischen September 1966 und August 1967 bis zu sieben Mal besprüht – meist mit Agent Orange. Mutter Phan Cuc hielt bei unserem Besuch ihr Neugeborenes in den Armen, ihr erstes gesundes Kind. Neben ihr am Boden spielten ihre beiden anderen Kinder. Ihretwegen hatte sich ihr erster Mann umgebracht. Der Junge Nguyen Hu An (5) und seine Schwester Nguyen Thanh Tuyen, (3) leiden an schrecklichen Missbildungen. Das Mädchen hat einen langgezogenen, verkrümmten Kopf und grosse, herausquellende Augen. Auch der Kopf des stark sehbehinderten Bruders ist viel grösser als normal, die Augen stehen weit nach vorn. Beide Kinder sind schwer geistig behindert.

Im obersten Stockwerk des Tu-Du-Spitals von Ho-Chi-Minh-Stadt werden vor allem behinderte betreut, deren Eltern in herbizidverseuchten Regionen lebten. 1999 | © Roland Schmid

Das Gespräch gestaltete sich schwierig, die Frau antwortete nur in knappen Sätzen. «Nach der Geburt dieser zwei behinderten Kinder wurde mein Mann sehr traurig», sagte sie. Er habe ihren Anblick nicht mehr ertragen. Eines Tages habe er sich umgebracht. – Er trank eine Lösung aus Pflanzengift. Ausgerechnet. Der Mann hatte viele Jahre im Grenzgebiet zu Kambodscha gelebt, das massiv mit Agent Orange und anderen Pflanzenvernichtungsmitteln besprüht worden war.

In A So, Provinz Thua Thien, direkt an der Grenze zu Kambodscha, lag ein Luftwaffenstützpunkt. Hier wurde einst Agent Orange gelagert und in Sprayflugzeuge gefüllt. Im Bild einer der zahlreichen alten Bombenkrater, die als Fischteiche dienen. Vor kurzem wurde entdeckt, dass diese Fischteiche stark mit Dioxin verseucht sind. 1999 | © Roland Schmid

Peter Jaeggi ist freischaffender Autor, Fotograf sowie Reporter für Schweizer Radio SRF, Radio SWR2 und ORF1 sowie für verschiedene anderer nationale und internationale Medien. Schwerpunkte sind Arbeiten aus sozialen und naturwissenschaftlichen Bereichen.

Preisgekrönte Radio-Features von Peter Jaeggi über Agent Orange
Teil 1: https://soundcloud.com/aeschiried/spatfolgen-des-chemiewaffeneinsatzes-im-vietnamkrieg-teil-1
Teil 2: https://soundcloud.com/aeschiried/agent-orange-spaetfolgen-des

Roland Schmid ist freischaffender Fotojournalist. Er arbeitet für zahlreiche Schweizerische und internationale Medien und berichtet auch regelmässig aus Krisengebieten. Schwerpunktmässig berichtet er aus der Schweiz, aus Osteuropa und Asien.

Textauszüge und Bilder sind aus dem Buch Krieg ohne Ende, 2016 im Lenos Verlag

Bezugsquellen: Agent-Orange

Krieg ohne Ende

Spätfolgen des Vietnamkrieges
Agent Orange und andere Verbrechen

Konzept, Texte, Gestaltung: Peter Jaeggi
Bilder: Roland Schmid (Farbbilder), National Geographic (Schwarzweissbilder)

ISBN: 978 3 85787 473 4