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Contemporary African Photography prize – Bekanntgabe der Shortlist 2022

Kroo Bay ist eine inoffizielle Wohnsiedlung an der Küste im Zentrum von Freetown, der Hauptstadt von Sierra Leone. Im Jahr 2009 lebten dort schätzungsweise 10'989 Menschen. Den Bewohner:innen von Kroo Bay fehlt ein angemessener Zugang zu sanitären Einrichtungen und Gesundheitsdiensten. Dennoch gedeiht die Gemeinde und die Einwohner:innen von Kroo Bay schätzen den Ort, den sie als ihre Heimat betrachten. Kadiatou Kamarra, 25, seit acht Jahren Einwohnerin von Kroo Bay, steht für ein Portrait neben ihrem Haus. Die für die Collage verwendeten Texturen stammen aus dem verschmutzten Meerwasser, das die Gegend umgibt und das während der Regenzeit Teile der Region überflutet. 2021

Bereits zum elften Mal hatten Fotograf:innen die Möglichkeit ihre Arbeiten, die auf dem afrikanischen Kontinent entstanden sind oder die sich mit der afrikanischen Diaspora auseinandersetzen, einzureichen. Die international zusammengesetzte Jury hat 25 Arbeiten ausgewählt. Eine Selektion aus der Shortlist:

Die Bewohner:innen der Gemeinde Tombotima lebt von Viehzucht und dem Anbau von Gemüse und Cashewnüssen. Sie haben keinen Brunnen und müssen weite Strecken zurücklegen, um Wasser zu holen, das verschmutzt ist. Die Männer sind für das Wasserholen zuständig, da es für Frauen zu gefährlich ist, insbesondere wenn sie schwanger sind. Die Gemeinde hat festgestellt, dass es nicht mehr so häufig und so schnell regnet wie früher, was sich auf ihre Einnahmequelle – die Landwirtschaft - auswirkt. Kadiatou H. Kamarra, Maa Kanu und Mariatu Kanu sind Bäuerinnen, Mütter und Ehefrauen. Alle drei Frauen haben müssen mit der drastischen Veränderung der Wasserreserven umgehen, und alle drei mussten ihre Schulausbildung aufgrund der Abwesenheit oder dem frühen Tod ihrer Eltern abbrechen und heiraten, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Sie stehen unter einem Cashewnussbaum der Gemeinde und tragen Cashewnusszweige auf dem Kopf. 2021

“Wata Na Life”, for Wateraid & British Journal of Photography, 2021
Wata Na Life – Wasser ist Leben in Krio; ist ein Satz, den man in Sierra Leone, einem Land, in dem Wasser einer Währung gleichkommt immer wieder hört. Im Auftrag von Wateraid und dem British Journal of Photography verbrachte Ngadi Smart drei Monate in ihrem Herkunftsland, um den Zusammenhang zwischen Wasser und dem sich verändernden Klima zu erforschen. Sie fand Gemeinschaften, die sich so gut wie möglich an die Folgen einer durch das Klima verschärften Wasserkrise, inmitten von Korruption und mangelnder staatlicher Planung vor.

Das Projekt ist eine deutliche Absage an die häufig "entmenschlichende" Darstellung der afrikanischen Entwicklungsländer in den westlichen Medien. Mit lebendigen Collagen erschafft sie ein Gegenpool zum "tropischen Armutsporno", indem sie das Wesen und die Identität der Menschen und Orte in Sierra Leone mit Landschaften, Portraits und Objekten der einzelnen Orte zu authentischeren Darstellungen, als es ein einzelnes Bild vermitteln vermag. Sie wünscht sich, dass sich die Menschen in Sierra Leone das Werk anschauen und stolz auf ihr Land sind.

Ngadi Smart (*1988) wurde in London geboren, wo sie heute lebt.

Untitled, from White Gold Series, 2021 | © Amina Kadous

White Gold 2021
Die ersten Samen ihrer Identität wurden in El Mehalla Al Kobra gepflanzt, ihrer Heimat und der ägyptischen Baumwolle. Durch ihre jungen Augen erstrahlte das Haus ihres Grossvaters mit Licht und Erinnerungen, die die Baumwollfäden widerspiegeln, die sich über drei Generationen reichen. Ihr Urgrossvater war Seiden- und Wollhändler, einer der ersten in El Mehalla, der die Anfangsphase des damals populären werdenden Textilhandels prägte. In den späten 1960er Jahren gründete Ihr Grossvater eine Textilfabrik in der Stadt, in den 1980er Jahren folgte ihr Vater und pflanzte Baumwollsaat.

Sie stützt sich auf das Vermächtnis ihrer Grosseltern, deren Archive und der erodierenden Geschichte ihrer Heimat Ägypten und versucht mit dieser Arbeit die übriggebliebene und verdorrte Baumwollsaat wieder zu verbinden und zu sammeln. Einst ein wichtiges Symbol für die ägyptische Identität und des kulturellen Reichtums, dass sie mit der Vergangenheit, der Entwicklung, der Erosion und dem heute verbindet. Sie stellt sich die Fragen was gewesen sein könnte, was könnte noch sei und was sie verloren haben?

Amina Kadous (*1991) in El Mehalla geboren und lebt heut in Kairo, Ägypten.

Junior Mungongu. 2021 | © Colin Delfosse

Fulu Act, 2021
In den Strassen Kinshasas machen Künstler:innen auf die Herausforderungen aufmerksam, mit denen die kongolesische Hauptstadt zu kämpfen hat. In einer zunehmend zerstörten Umwelt hinterfragen sie den Überfluss an Konsumgütern und Müll, indem sie sie zu Kostümen recyceln. Als Kollektiv treten sie in den Strassen auf und prangern gesellschaftliche Probleme an: fehlende Gesundheitsversorgung, Umweltverschmutzung, Abholzung und Überkonsum. Mit einer urbanen Kultur und symbolischen Ritualen ihrer Vorfahren treten die Künstler:innen in einen Dialog mit dem Einwohner:innen der Stadt.

Die demografische Explosion dieser Megalopolis in Verbindung mit den wachsenden Bedürfnissen, einer globalen Wirtschaft und einem grossen Appetit auf Einwegplastik haben zu einer massiven Einfuhr von Konsumgütern geführt, die eine Verwüstung hervorrufen. Die Folgen sind alarmierend: 13 Millionen Einwohner erzeugen jeden Tag 7 Tonnen Abfall. Arme Stadtviertel sind am stärksten betroffen – die Ungleichheit wird verstärkt.

Ausserhalb des Stadtzentrums reihen sich Slums an Slums aneinander – ohne jegliche Infrastruktur. Die Beschaffung von Lebensmitteln und die Fortbewegung stellen eine tägliche Herausforderung dar. Der kongolesische Staat ist nicht in der Lage, grundlegende Probleme wie fehlende Strassen, Kanalisationen und Strom zu lösen.

In diesen Vierteln verkörpern die Künstler:innen ihre Stadt neu, indem sie zeitgenössische Mythen schaffen. Was die traditionellen Rituale betrifft, so verkörpern sie den Archetypus der Natur, der sich den wichtigsten Herausforderungen der Umwelt konfrontiert und stellen unsere Modernität in Frage.

Colin Delfosse (*1981) ist in Ixelles geboren und lebt in Brussels, Belgien.

L‘origine du monde. 2018 | © Fatimazohra Serri

Shades of Black, 2022
2017 hat Fatimazohra Serri aus einem tiefen Bedürfnis mit diesem Langzeitprojekt begonnen, um ihre Gedanken und ihrer Ablehnung der Situation, in der sie sich und die Frauen, die sie umgeben auszudrücken. Sie möchte mit der Arbeit die Situation der Frauen in der marokkanischen Gesellschaft, insbesondere die konservative Seite anhand der Realität ihres Lebensunterhaltes und den verschiedenen Herausforderungen aufzeigen, mit denen sie konfrontiert sind. Sie lässt sich von ihrer Umgebung inspirieren, von Frauen, die sie kennt, von Situationen, die sie selbst täglich erlebt. Ihre Bilder spiegeln das Leben der Frauen in der marokkanischen Gesellschaft wider. Das Projekt ist auch eine Vertiefung der Erkundung von Weiblichkeit, von Sexualität und der Beziehung zwischen Frauen und Männern.

Fatimazohra Serri (*1995) ist in Taza geboren und lebt in Nador, Marokko.

Reflected Refraction. 2022 | © Mekbib Tadesse

Lost in Connection, 2022
"Ein Eichhörnchen, das vor Ihrem Haus stirbt, kann für Ihre Interessen relevanter sein als Menschen, die in Afrika sterben." Mark Zuckerberg
Prägnanter könnte dieser Satz den Stellenwert und den Platz von Afrikaner:innen in der virtuellen Welt nicht besser ausdrücken. Eigentlich sollte das Internet die Welt zusammenbringen und doch entscheiden Kodierungen und Algorithmen was wir sehen, um mit kommerziellen Absichten Emotionen zu wecken und uns mit den gleichen Dingen wieder trennen. Was uns verbinden sollte, trennt uns. Es ist offensichtlich, dass der allgemeine Konsum von Onlineinhalten, geblendet von Freuden der virtuellen Erfahrung, seinen Preis hat, sei es Chaos, Ablenkung, Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit oder anderes. Algorithmen drängen uns in eine Ecke, aus der wir kaum entkommen können. Mekbib Tadesse ist überzeugt, dass in dieser Auseinandersetzung der afrikanische Kontext nur am Rande eine Rolle spielt. Während afrikanischen Länder versuchen, ihre Bevölkerung mit Internet zu versorgen und zu erreichen, haben viele App-Entwickler die Idee der Nutzungslücke verdrängt und den Konsum virtueller Inhalte unterschätzt. Soziale Medien sind nicht das Problem, aber sie sind der Motor für das Chaos, das wir derzeit erleben.

 Mekbib Tadesse (*1989) wurde in Addis Abeba, Äthiopien geboren, wo sie heute lebt.

Ma kwela. 2022 | © Robert Nzaou Kissolo

Louzolo, 2022
Louzolo – Liebe in Kikongo einer lokalen, kongolesischen Sprache. Die Serie beleuchtet die Sprache der Liebe in der kongolesischen Gesellschaft, die Gebote und Verbote, was akzeptiert wird und was nicht… Wie viel ist zu viel, wie kann, darf man Liebe in der Öffentlichkeit ausdrücken. Die Bilder zeigen ein vertauschtes Rollenbild, wie es in den meisten kongolesischen Haushalten üblich ist. Kleine Dinge, die die Wertschätzung zwischen Männern und Frauen bedeuten.

Robert Nzaou Kissolo (*1976) wurde in Nkayi geboren und lebt heute in Pointe-Noire, DR Kongo.

Mrs. May. 2021 | © Remofiloe Nomandla Mayisela

Lip Service, 2022
Lip Service erforscht den Gedanken, der hinter dem berühmt, berüchtigten Satz: "Der Weg zum Herzen eines Menschen führt durch seinen Magen." Ein Sprichwort, das auf der ganzen Welt bekannt ist. Im Laufe der Jahre wurden Frauen Räume zugewiesen, die von der patriarchischen Gesellschaft gestützt wird. Oft sind die Räume auf das Haus, die Wohnung, insbesondere die Küche begrenzt. Innerhalb der etablierten Konsumkultur funktionieren Frauen weiterhin als Warenfetisch – eine Erfahrung, die nicht durch Nationalität und Geografie begrenzt wird. Der Vergleich von Frauen mit Lebensmitteln ist ein beliebtes rhetorisches Mittel, um Frauen auf die gleiche Stufe zu stellen – leicht zu bekommen und zu geniessen. Als junge moderne Makoti [1]begann Remofiloe Nomandla Mayisela in einer institutionellen Verbindung wie der Ehe die starke kulturelle, patriarchalische Zuweisung von Frauen in die Küche und ihrer Körper für den Konsum zu spüren. 

Remofiloe Nomandla Mayisela (*1994) wurde in Johannesburg geboren, wo sie heute lebt.

Die fünf Gewinner:innen werden am 17. Juni, 17 Uhr im Rahmen der photo basel bekannt gegeben.

Der CAP-Preis ist der internationale Preis für zeitgenössische afrikanische Fotografie, der seit 2012 jährlich an fünf Fotografen verliehen wird, deren Werke auf dem afrikanischen Kontinent entstanden sind oder die sich mit der afrikanischen Diaspora auseinandersetzen.

[1] Makoti – Braut oder Schwiegertochter. Ein in Südafrika weit verbreiteter kultureller Begriff.