In konstantem Dialog: Guido Guidi «da zero» im Centre Virreina de la Imatge, BCN…

Linea veloce Bologna-Milano, Rubiera, 2005 | © Guido Guidi

Es sei die Absicht, mit «da zero» einen vertieften, umfassenden Einblick in das Werk des italienischen Fotografen Guido Guidi (*Cesena/IT, 1941) zu geben, liest die Besucherin im aufschlussreichen, in drei Sprachen (cat, spa, eng) erhältlichen, kostenlosen Ausstellungsleaflet. Und, um es gleich vorwegzunehmen - dies ist mehr als gelungen: Die über 250 Fotografien umfassende, auf mehrere Säle unterteilte Ausstellung liefert Anschauungs-, aber auch Nachdenkmaterial, das durchaus auf mehrere Besuche verteilt werden kann.

San Mauro in Valle © Guido Guidi

„da zero”, von vorne, bei Null beginnen:
Seit seiner Adoleszenz beschäftigt sich Guido Guidi mit der Fotografie. Die ersten Bilder der Ausstellung, in b/w, markieren dieses «da zero», bevor der Fotograf in den Sechzigerjahren zu experimentieren beginnt und die fotografische Praxis weiterdenkt: Es entstehen fotografische Diptychen, Sequenzierungen, die an ein bebildertes Skript oder Drehbuch erinnern und einen narrativen Kontext schaffen. In den Siebzigerjahren sind es Fotoserien, die uns eine Architekturfotografie zeigen, die mit den Regeln derselben bricht – und unser Auge damit gehörig irritieren. Motivisch rückt zudem die urbane Peripherie in den Mittelpunkt – mit ihrer in jeder Hinsicht unausgereiften Gestalt ist sie für fotografische Experimente durchaus prädestiniert.

Tomba Brion | © Guido Guidi

Guidis in zwischen den Siebziger und Neunziger Jahren entstandenen, die Sehgewohnheit herausfordernden Fotografien erinnern teilweise formal an die Bildpraxis von Walker Evans, obwohl sie durchwegs eigenständig sind. Von besonderem Interesse sind zudem die durch den Sucher festgehaltenen Beobachtungen des Zusammenspiels von Licht, Schatten und Bewegungen in einem Raum oder im Freien. So gelang Guidi das Bannen des zum schon von Aristoteles beschriebenen Phänomen der Eklipse.

Cervia, 1983 | © Guido Guidi

Studien in Kunst, Architektur und Design bei Professoren wie dem genannten Architekten Carlo Scarpa (dessen Meisterwerk Tomba Brion ein weiteres wichtiges Motiv in Guidis Schaffen darstellt) sowie der Einfluss von Fotografen wie Italo Zannier und Bruno Zevi auf der einen, die Bauhaus-Theorie, und die Beschreibung des «Alltäglichen», welche mit der nordamerikanischen Fotografie der Zeit konnotiert wird, auf der andern, bildeten den äusserst fruchtbaren Grund, auf dem sich Guido Guidis Schaffen stets weiter entfalten konnte und es ihm ermöglichte, experimentell in sogenannte fotografische «Peripherien» vorzustossen.

Accademia di Belle Arti, Ravenna, 2005 | © Guido Guidi

Ausdruck dieses dialektisch verstandenen «Suchens mit dem Sucher» ist der Fakt, dass in den Siebzigerjahren, in denen Guido Guidi als technischer Fotograf am Instituto Universitario di Architettura di Venezia (IUAV) arbeitet, gleichzeitig jene Arbeiten entstehen, die das Überwinden der Vorgaben, was «korrekte» (Architektur-) Fotografie sei, aufzeigen. So gelingt es Guidi, sich im technischen, aber auch im philosophischen Sinn der bestehenden Korsette zu entledigen: die Regeln der fotografischen Praxis gezielt zu brechen, sind die Bedingungen, um an neue Erkenntnisse zu gelangen und neues Terrain zu erschliessen.

Preganziol, 1983 | © Guido Guidi

Die von Marta Dahó kuratierte Ausstellung zeigt, zeitlich fast ein Menschenleben umspannend, den konstanten und konstruktiven Dialog, den der Fotograf mit der Kamera, dem Sucher, mit Licht und Schatten, aufrechterhalten hat. Die latent vorhandene Herausforderung des Mediums Fotografie ist in allen ausgestellten Werkgruppen und den zahlreichen, ebenfalls präsentierten Publikationen und Monografien präsent und macht die Ausstellung zu einem riesigen Fundus, zu einem Füllhorn, das auch beim zweiten oder dritten Besuch noch Überraschungen und Neuentdeckungen parat hält.

Tomba Brion | © Guido Guidi

Guido Guidi: «da zero», bis 16.01.2022 La Virreina Centre de la Imatge, La Rambla 99, Barcelona. Eintritt frei

Susanne Martínez García