Fai la brava...

“La metà della metà” aus der Serie "Fai la brava" | © Alessia OlivieriIn der letzten Nacht des Jahres ist es üblich, einen Granatapfel mit dem Ehepartner zu teilen, wenn man im kommenden Jahr Kinder gebären möchte. Wegen der Vielzahl der Körner, die…

“La metà della metà” aus der Serie "Fai la brava" | © Alessia Olivieri

In der letzten Nacht des Jahres ist es üblich, einen Granatapfel mit dem Ehepartner zu teilen, wenn man im kommenden Jahr Kinder gebären möchte. Wegen der Vielzahl der Körner, die er enthält, und seiner intensiven roten Farbe ist er ein Symbol des Lebens und der Fruchtbarkeit, solange jede Hälfte gegessen wird...

Fai la brava" entstand auf Einladung von Morgane Paillard und Audrey Zimmerli (Co-Kuratorinnen bei le Balkkon, Neuchâtel) sich mit dem Thema Körper und Weiblichkeit auseinander zu setzten. Alessia Olivieri stellt mit Hilfe der Fotografie verschiedene kulturelle Traditionen in Frage, die über Generationen hinweg dazu beigetragen haben, die Rolle und das Bild der Frau zu definieren. Traditionen haben Bestand, verlieren an Kraft, entwickeln sich weiter, beeinflussen aber oft unser Unbewusstes. Es stellt sich immer wieder die Frage wie uns ein solches Erbe heute noch beeinflusst.

"Rosso relativo" aus der Serie "Fai la brava" | © Alessia OlivieriDas Tragen roter Unterwäsche am 31. Dezember bringt Glück und Liebe, doch damit dies geschehen kann, muss die getragene Unterwäsche am nächsten Tag entsorgt werden. Es ist eine Möglic…

"Rosso relativo" aus der Serie "Fai la brava" | © Alessia Olivieri

Das Tragen roter Unterwäsche am 31. Dezember bringt Glück und Liebe, doch damit dies geschehen kann, muss die getragene Unterwäsche am nächsten Tag entsorgt werden. Es ist eine Möglichkeit, all die schlechten Dinge loszuwerden, die das vergangene Jahr gebracht hat. Unterwäschemarken nutzen diese Tradition, um mit Argumenten wie Rot passt sowohl zu Brünetten als auch zu Rothaarigen, zu matten oder hellen Häuten; sie machen sexy, bringen Mut und Selbstvertrauen, zumindest vom 31. Dezember bis zum 1. Januar…

Ausgehend von ihrer italienischen Herkunft hat sich Alessia Olivieri entschieden, eine Reflexion zu beginnen, die von der Dualität der Gefühle angeregt wird, die die kulturellen Traditionen, die mit ihrer Situation als Frau verbunden sind, in ihr hervorrufen. Die Traditionen, das seltsame Gleichgewicht, das sich aus Bräuchen ergibt und der Mischung einer Kultur, die sie schätzt, hat eine gewisse Verwirrung hervorgerufen und sie auch etwas hilflos gemacht. Die Zuneigung und der Respekt vor diesem kulturellen Erbe, das sie an ihre Familie und ihre Herkunft bindet, hat sie es selten übers Herz gebracht die Schattenseiten dieser Bräuche bewusster zu machen.

"Denti di late" aus der Serie "Fai la brava" | © Alessia OlivieriEs ist oft üblich, die Milchzähne von Kindern und Enkelkindern zu behalten. Von Großmüttern als Anhänger getragen, garantieren sie Gesundheit, Vitalität, Kraft und Glück.Warum haben Si…

"Denti di late" aus der Serie "Fai la brava" | © Alessia Olivieri

Es ist oft üblich, die Milchzähne von Kindern und Enkelkindern zu behalten. Von Großmüttern als Anhänger getragen, garantieren sie Gesundheit, Vitalität, Kraft und Glück.

Warum haben Sie nur 3 Anhänger, wenn Sie 5 Enkelkinder haben?
Ich verstehe auch nicht, warum. Wir haben für jeden von Ihnen einen gemacht, aber da die beiden anderen Jungen sind, musste uns gesagt werden, dass Jungen keine Halsketten tragen.

Im Gegensatz zur wahren Urfassung des Liedes Bella Ciao (das Ende des 19. Jahrhunderts von den Frauen geschrieben wurde, die auf den Reisfeldern im Piemont arbeiteten) besingen viele Traditionen, die heute noch existieren, nicht die Freiheit der Frauen, sondern beschränken sie im Gegenteil allzu oft auf ihre "einzige" Funktion als Gebärende oder auf das, was ihr nahe kommt, wenn sie sich nicht dem Aberglauben der vielen Gefahren hingeben, die eine menstruierende Frau darstellen würde!

"Sei più preziosa di me" aus der Serie "Fai la brava" | © Alessia OlivieriEine Ménagère ist ein Besteckset, meistens versilbert und oft mit einem dekorativen Motiv versehen. Normalerweise ist eine Serie von je sechs Teilen und Einzelstücken, damit m…

"Sei più preziosa di me" aus der Serie "Fai la brava" | © Alessia Olivieri

Eine Ménagère ist ein Besteckset, meistens versilbert und oft mit einem dekorativen Motiv versehen. Normalerweise ist eine Serie von je sechs Teilen und Einzelstücken, damit man eine bestimmte Anzahl von Gästen bewirten kann. Üblicherweise wird jungen Mädchen an ihrem Geburtstag etwas davon geschenkt, damit sie bei ihrer Heirat die Haushaltsgegenstände mitbringen können. Je unwahrscheinlicher es als unwahrscheinlich gilt, dass das Mädchen einen Ehemann findet, desto reicher soll die Heiratsaussteuer ihren Wert steigern.

“Jedenfalls ist es nicht meine Absicht, dieses kulturelle Erbe in seiner Gesamtheit zu leugnen. Es erscheint mir jedoch notwendig, es in Frage zu stellen, und dies, um es meinerseits in einer Form ertragen zu können, von der ich hoffe, sie mit meinen zeitgenössischen Prinzipien und Bestrebungen in Einklang bringen zu können.”

Alessia Olivieri

"Quasi la stessa" aus der Serie "Fai la brava" | © Alessia OlivieriDie Hochzeitsaussteuer ist die persönliche und häusliche Wäsche, die ein junges Mädchen für ihre Hochzeit haben musste. Sobald ein Mädchen geboren wurde, begannen die Frauen ihrer Fa…

"Quasi la stessa" aus der Serie "Fai la brava" | © Alessia Olivieri

Die Hochzeitsaussteuer ist die persönliche und häusliche Wäsche, die ein junges Mädchen für ihre Hochzeit haben musste. Sobald ein Mädchen geboren wurde, begannen die Frauen ihrer Familie und später das Mädchen selbst damit, ihre Aussteuer zusammenzustellen, indem sie eine Reihe von Stoffen anfertigten und nähten. Sobald die Aussteuer fertig war, wurde die Nachbarschaft eingeladen, sie zu bewundern. Die Aussteuer besteht aus Leibwäsche (Höschen, Mützen, Strümpfe...), Bettwäsche (Laken, Kissenbezüge, Decken...) und Tischwäsche (Tischdecken und Servietten...), die mit den Initialen der Braut bestickt sind.

Alessia Olivieri (*1992) lebt und arbeitet in Vevey. 2017 hat sie das Diplom in Visual Communication Design am Centre d'enseignement professionnel de Vevey abgeschlossen. Sie ist Mitglied des Collective Le Salon. Ihre Arbeiten wurden bereits mehrfach in Ausstellungen und an Festivals (Photoforum Pasquart, Espace Nonante-neuf, Les Rencontres d’Arles) präsentiert.

Die Ausstellung "Fai la brava" im Le Balkkon in Neuchâtel wurde bis 13. Juni 2020 verlängert.

Miryam Abebe