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Krieg ohne Ende - «Nebel», der aus dem Flugzeug kam

Pham Phi Kim Thoa, 27 Jahre alt, und ihre Mutter Nguyen Thi Gai in Hanoi. Der Vater der behinderten Tochter war im Krieg an der laotischen Grenze während acht Jahren immer wieder Agent-Orange-Attacken ausgesetzt. 1999 | © Roland Schmid

«Als Kind sah ich, wie Flugzeuge eine Art Nebel versprühten.» Nguyen Bong, hager und kränklich, erzählt von seinen frühen Kriegserlebnissen, die später für die Tragödie seines Lebens sorgen werden. Betroffene, die den Herbizidregen am eigenen Leib erfuhren, beschrieben einen Geruch «wie eine reife Guava», andere sahen ihn in der Luft hängen «wie Nebel», reden von einem «Puderstreifen» oder davon, dass es wie «gemahlener Kalkstein» ausgesehen habe. Eigentlich zu poetische Beschreibungen für das Ungeheuerliche, das später folgte.

Im Thanh-Xuan-Friedensdorf in Hanoi finden behinderte Kinder eine medizinische und soziale Rehabilitation. Die meisten behinderten Menschen leben jedoch in verarmten Familien. 1999 | © Roland Schmid

Wir sind im Dorf Tan Hiep, in der Provinz Quang Tri. Nguyen Bong, geboren 1962, Tagelöhner, erzählt, wie rund um das Dorf gekämpft wurde, wie er manchmal mithelfen musste, gefallene Amerikaner wegzutragen. Sein Dorf war ein sogenanntes Wehrdorf. «Wir lebten mehr oder weniger eingeschlossen. Nachts gingen wir heimlich raus und holten im Fluss die Fische, die als Folge des Sprühnebels zu Hunderten tot auf der Oberfläche trieben. Zu Hause assen wir sie.» So gelangte das Gift in Nguyen Bongs Organismus.

Im Rehabilitationszentrum für behinderte Kinder in Thuy An bei Hanoi. "Das Ministerium für Arbeit, Kriegsinvalide und soziale Angelegenheiten" hat dem Haus eine Bombenhülse aus dem Krieg geschenkt. Sie dient als Pausengong. 1999 | © Roland Schmid

Die Regierungen der USA und Südvietnams umzäunten damals Tausende von Dörfern mit Bambuspalisaden. Diese Wehrdörfer sollten die Südvietnamesen unter Kontrolle halten und vor nordvietnamesischen Angreifern beziehungsweise dem Einfluss der Befreiungsfront FNL schützen.

Schlafsaal im Rehabilitationszentrum für behinderte Kinder in Thuy An bei Hanoi. Hier werden auch die späten Opfer des Vietnamkrieges betreut - Kinder, deren Väter in herbizidbelasteten Gebieten kämpften. 1999 | © Roland Schmid

Nguyen Bong ist Vater zweier schwer cerebral gelähmter Töchter – die Folge der mit Agent Orange vergifteten Fische. Die zwei Kinder, beide über dreissig, liegen nebeneinander auf einer Pritsche. Ihre Sprache haben sie verloren. Die Mutter, Tran Gai, sitzt neben ihnen auf den Holzbrettern. Schwach und kaum fähig zu sprechen. Die jahrzehntelange Pflege der Kinder hat ihr die letzten Kräfte geraubt und sie herzkrank gemacht.

Heute leben in Vietnam bereits drei Generationen mit Agent-Orange-bedingten Schäden. Über wie viele weitere Generationen sich die Erbschäden auswirken werden, weiss niemand. Pham Thanh Tien von der lokalen Opfervereinigung DAVA in Da Nang sagt: «Fast zwei Drittel der Agent-Orange-Kinder hier gehören zur ersten Generation; je knapp ein Viertel zur zweiten und dritten. Die Opfer der dritten Generation sind unter fünfzehn Jahre alt. Die meisten Betroffenen werden kaum älter als dreissig.»

Tan Hiep 10.3.2015 - Bei der Familie von Nguyen Van Bong (1962), seiner Frau Tran Thi Gai (1964) und seinen Töchtern Nguyen Thi Tai (1988, im grünen Hemd) und Nguyen Thi Tutet (1993, im rosa Hemd) Der Vater war während des Krieges Agent Orange ausgesetzt, die beiden Töchter sind deshalb hirngeschädigt und voll pflegebedürftig. | © Roland Schmid

Wie viele Agent-Orange-Vergiftete genau es im ganzen Land gibt, weiss niemand. Erst jetzt beginnt Vietnam, die Betroffenen flächendeckend zu erfassen. Bis heute existieren lediglich Schätzungen. Wichtigste Quellen für Opferzahlen im südostasiatischen Staat sind die nationale Opfervereinigung VAVA und das Vietnamesische Rote Kreuz, das eng an den Staat gebunden ist.

In fast 20’000 Sprüheinsätzen kamen laut neueren Forschungen der Columbia-Universität New York zwischen 2,5 und mehr als vier Millionen Menschen mit dem Gift in direkte Berührung. Über 3000 Dörfer und Weiler wurden direkt besprüht. Das nationale Rote Kreuz sagt, im Land gebe es etwa eine Million Menschen, die wegen dieses Herbizides krank oder behindert seien, inbegriffen rund 150’000 Kinder, die seit Kriegsende 1975 behindert geboren worden seien. Überprüfbar sind diese Zahlen nicht. Die US-Regierung hält sie für «unrealistisch». Doch auch wenn es weit weniger Betroffene sein sollten: Die Geschichte ist und bleibt eine Tragödie, verbunden mit unermesslichem Leid.

Thoa, 14 Jahre alt, in einem Friedensdorf in Hanoi (Rehabilitationszentrum). Ihre Haut ist mit schwarzen Flecken uebersät. Ihr Vater kämpfte im Krieg in herbizidverseuchten Regionen. Die ersten zehn Jahre ihres Lebens wurde Thoa von ihren Eltern versteckt. 1999 | © Roland Schmid

Peter Jaeggi ist freischaffender Autor, Fotograf sowie Reporter für Schweizer Radio SRF, Radio SWR2 und ORF1 sowie für verschiedene anderer nationale und internationale Medien. Schwerpunkte sind Arbeiten aus sozialen und naturwissenschaftlichen Bereichen.

Preisgekrönte Radio-Features von Peter Jaeggi über Agent Orange
Teil 1: https://soundcloud.com/aeschiried/spatfolgen-des-chemiewaffeneinsatzes-im-vietnamkrieg-teil-1
Teil 2: https://soundcloud.com/aeschiried/agent-orange-spaetfolgen-des

Roland Schmid ist freischaffender Fotojournalist. Er arbeitet für zahlreiche Schweizerische und internationale Medien und berichtet auch regelmässig aus Krisengebieten. Schwerpunktmässig berichtet er aus der Schweiz, aus Osteuropa und Asien.

Textauszüge und Bilder sind aus dem Buch Krieg ohne Ende, 2016 im Lenos Verlag

Bezugsquellen: Agent-Orange

Krieg ohne Ende

Spätfolgen des Vietnamkrieges
Agent Orange und andere Verbrechen

Konzept, Texte, Gestaltung: Peter Jaeggi
Bilder: Roland Schmid (Farbbilder), National Geographic (Schwarzweissbilder)

ISBN: 978 3 85787 473 4