Stadt Land Hund - Sibylle Bergemann
"Ich halte die Modefotografie für eine künstlerische Ausdrucksform. Die Mode entscheidet allerdings über Ideen und Motive. Kann ich mit den Kleidern nichts anfangen, fallen mir auch keine Bilder ein."
Sibylle - Modefotografie aus drei Jahrzehnten DDR, Interview mit Dorothea Melis, 1998
Die Ausstellung Stadt Land Hund - Fotografien 1966 - 2010 richtet, mit einer Auswahl von über 200 Fotografien, davon 30 bisher unveröffentlicht, einen retrospektiven und persönlichen Blick auf das Werk von Sibylle Bergemann. Sechs Kapitel - "Unsichtbare Beobachterin", "Berlin", "Frauen", "Moskau, Paris, New York", "Die Welt in Farbe" und "Zurück in Berlin" - führen thematisch und weitestgehend chronologisch durch das zwischen 1966 und 2010 entstandene Œuvre. "Lebensorte" - ein weiteres Kapitel präsentiert neben ihren Fotografien auch Bilder von Arno Fischer[1], Ute Mahler[2], Roger Melis[3] und Michael Weidt[4], das Einblick in Bergemanns private und soziale Räume geben. Hier zeigt sich insbesondere die Verbundenheit zu befreundeten Fotograf*innen in Ost-Berlin und zu ihren internationalen Kolleg*innen.
Bereits mit fünfzehn Jahren wollte Sibylle Bergemann Fotografin werden. 1958 beginnt sich jedoch eine kaufmännische Ausbildung und arbeitet in verschiedenen Betrieben als Sekretärin bis sie 1965 für die illustrierte Monatszeitschrift Das Magazin in Berlin tätig wird. Hier lernt sie ihren späteren Lebenspartner, den Fotografen Arno Fischer kennen, der damals an der Hochschule für bildende und angewandte Kunst in Weissensee unterrichtete. Sie wird Teil eines inspirierenden Freund*innenkreises aus Künstler*innen, Mode- und Architekturstudent*innen. Durch ihre berufliche Routine und den intensiven Austausch mit befreundeten Fotograf*innen wie Brigitte Voigt[5], Arno Fischer und Roger Melis stört sich in den 1970er Jahren ihre Position im Bereich der Fotografie. Bergemann ist unter anderem von der französischen Fotografie inspiriert - von Eugène Atget[6] und Edouard Boubat[7]. Mehrfach unternimmt sie in der DDR Anstrengungen nach Frankreich zu reisen.
"Da ich mich nicht getraut habe, Menschen zu fotografieren, habe ich Fenster fotografiert. Wenn man sich die anguckt, hat man eine Vorstellung von den Bewohnern dahinter: Sehe ich Rüschen? Oder gar keine Gardinen? Fenster sind auch Menschen. Das war die Idee.
Die DDR nicht schick, aber kreativ, Freitag, 24. Februar 2009
Frauen sind ein prägendes und wiederkehrendes Motiv im Œvres von Sibylle Bergemann. Oft sind es Schauspielerinnen, Künstlerinnen, Autorinnen und Models, die sie mit Neugier und Respekt aus ihrem Selbstverständnis als Frau fotografiert. Ausdruck und Pose der Frauen variieren. Sie sind mal humorvoll, mal aufsässig, mal lässig, mal stolz oder sinnlich. Für ihre kunstvoll arrangierten Bilder richtet sie ihre Figuren oft zentralperspektivisch aus, meist einzeln in glanzloser urbaner Umgebung. 1994 hält Sibylle Bergemann fest, dass sie die Wirklichkeit in die Bilder bringen möchte. Das flüchtige Gegenwärtige zeigt sich auch in ihrer Modefotografie. Sie will Mode situativ in natürlichen Lebensräumen aufnehmen. In einem Interview mit der ehemaligen Sibylle-Redakteurin Dorothea Melis sagt sie: "Wetter und Licht sind immer ein Risiko, aber aus der Improvisation entstehen oft unerwartet schöne Bilder."
Auch im wiedervereinten Deutschland arbeitet Sibylle Bergemann als selbständige Fotografin. Im Oktober 1990 gründet sie in Berlin mit Harald Hauswald[10], Ute Mahler, Werner Mahler[11], Jens Rötzsch, Thomas Sandberg[12] und Harf Zimmermann die Ostkreuz-Agentur der Fotografen. In dieser Zeit erhält Bergemann zunehmen internationale Aufträge. Sie wird 1997 wird sie von der Zeitschrift Geo für ihre erste Reportage beauftragt. Es folgen neunzehn weitere.
Die Ausstellung Stadt Land Hund - Fotografien 1966 - 2010 von Sibylle Bergemann kann bis 10. Oktober 20222 in der Berlinischen Galerie - Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur an der Alten Jakobstrasse 124-128 in Berlin besucht werden.
Katalog
Hrsg. Berlinische Galerie: Thomas Köhler und Katia
Reich. Mit Texten von Susanne Altmann, Bertram
Kaschek, Anne Pfautsch, Katia Reich, Jan Wenzel,
Frieda von Wild und Lily von Wild. Gestaltet von Büro
Otto Sauhaus. Hatje Cantz Verlag, deutsch/englisch,
264 Seiten, 250 Abbildungen.
ISBN 978-3-940208-73-6, 34,80 € (Museumsausgabe)
ISBN 978-3-7757-5207-7, 48,00 € (Buchhandelsausgabe)
Anlässlich der Ausstellung erscheint ein vierteiliges Audio-Feature über die Fotografin Sibylle Bergemann. Der Podcast ist über alle gängigen Streaming Plattformen sowie auf der Website der Berlinischen Galerie und abrufbar: bg.berlin/bergemann-podcast
Die Berlinische Galerie ist ein Museum des Landes Berlin. Offiziell trägt es den Beinamen Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur. Das Museumsgebäude befindet sich in der Alten Jakobstraße im Berliner Ortsteil Kreuzberg. Die Berlinische Galerie sammelt in Berlin seit 1870 entstandene Kunst mit einem regionalen und internationalen Schwerpunkt.
Freund*innenkreis der Berlinischen Galerie: Der Förderverein der Berlinischen Galerie engagiert sich für die Realisierung von Ausstellungen, Ankäufen und Bildungsprojekten. Als Dankeschön gibt es für die Freund*innen freien Eintritt in das Museum und exklusive Veranstaltungen wie Previews, Kurator*innen-Führungen, Atelierbesuche oder Kunstreisen.
Jung und Artig – die jungen Freund*innen der Berlinischen Galerie – sind eines der grössten Netzwerke von Kunstfans unter 30. Sie unterstützen ihr Lieblingsmuseum und entdecken gemeinsam die Berliner Kunstszene.
[1] Arno Fischer (14. April 1927 in Berlin-Wedding - 13. September 2011 in Neustrelitz) war ein deutscher Fotograf und Hochschullehrer. (Quelle: Wikipedia)
[2] Ute Mahler, geboren 1949 in Berka (Thüringen), schloss ihr Studium der Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig 1974 ab. Von 2000 - 2015 war sie Professorin an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg. Sie ist Gründungsmitglied von OSTKREUZ. Ute Mahler lebt in Lehnitz bei Berlin. (Quelle: Ostkreuz)
[3] Der Berliner Fotograf Roger Melis (1940-2009) gehörte neben Evelyn Richter, Arno Fischer und Sibylle Bergemann zu den Mitbegründern des ostdeutschen Fotorealismus. Mit seinen viel gerühmten Porträtfotografien prägte er von der Mitte der 1960er Jahre bis zur Jahrtausendwende maßgeblich das »Antlitz« der deutschen Literatur. Daneben entstanden zahlreiche Reportagen für Zeitungen und Zeitschriften in Ost und West, aus denen 2006 das inzwischen weitverbreitete Fotobuch »In einem stillen Land« als seinerzeit erstes komplexes fotografisches Porträt des DDR-Sozialismus hervorging. Mode fotografierte er vorzugsweise für die Zeitschrift »Sibylle«. Besondere Popularität erlangte sein Städteporträt »Paris zu Fuß«, das eine Auflage von 40.000 Exemplaren erreichte. (Quelle: Mathias Bertram)
[4] Michael Weidt (* 1946 in Berlin-Moabit) ist ein deutscher Fotograf, der vor allem Porträts von DDR-Künstlern aus Film, Theater, Bildender Kunst, Tanz und Musik schuf. (Quelle: Wikipedia)
[5] Brigitte Voigt (*1934) studierte ab 1958 Grafik an der Kunsthochschule in Berlin-Weißensee. Arno Fischer, der hier als Oberassistent tätig war, entdeckte und förderte ihr Talent zur Fotografie. Als erste Studentin legte sie als Diplomarbeit ein selbstgestaltetes Fotobuch vor und gehörte fortan zu dem Kreis von Fotografen um Arno Fischer, aus dem 1969 die Fotogruppe »Direkt« hervorging. Mit Fotofeuilletons, die sie in Zeitschriften wie der NBI und der SIBYLLE veröffentlichte, erwies sie sich als eine Mitbegründerin der ostdeutschen Autorenfotografie. Von 1965 bis 1988 leitete sie die Bildredaktion der Zeitschrift »Das Magazin« in Berlin und wurde in dieser Funktion selbst zu einer maßgeblichen Förderin der Autorenfotografie. Im Zentrum ihres Werkes stehen Künstlerporträts und Beobachtungen zur Persönlichkeitsent-wicklung von Kindern und Jugendlichen. (Quelle: Mathias Bertram)
[6] Jean Eugène Auguste Atget (* 12. Februar 1857 in Libourne; † 4. August 1927 in Paris) war ein französischer Fotograf. (Quelle: Wikipedia)
[7] Édouard Boubat (* 13. September 1923 in Paris; † 30. Juni 1999 in Montrouge) war ein französischer Fotograf und Fotojournalist. (Quelle: Wikipedia)
[8] Ana Cláudia Moura Pereira (* 17. September 1979 in Santarém) ist eine portugiesische Fado-Sängerin. Sie gehört zu den erfolgreichsten Fadosängerinnen des 21. Jahrhunderts, mit zahlreichen Auszeichnungen und etwa einer Million verkaufter Alben weltweit. (Quelle: Wikipedia)
[9] Fado ([ˈfaðu]; portugiesisch für „Schicksal“; von lateinisch fatum „Schicksal“) ist ein portugiesischer Musikstil und ein portugiesisches Vortragsgenre, beheimatet vor allem in den Städten Lissabon und Coimbra. Werke dieses Stils handeln meist von unglücklicher Liebe, sozialen Missständen, vergangenen Zeiten oder der Sehnsucht nach besseren Zeiten, und vor allem von der saudade (annähernd: Weltschmerz). Der Fado enthält unter anderem arabische Elemente, viele Tonhöhensprünge, bevorzugt Mollmelodien und drückt jenes Lebensgefühl aus, das die Portugiesen angeblich miteinander verbindet. 2011 wurde der Fado in die Liste des immateriellen Weltkulturerbes der UNESCO aufgenommen. (Quelle: Wikipedia)
[10] Harald Hauswald wurde 1954 in der sächsischen Provinz Radebeul geboren und ist Gründungsmitglied der Agentur OSTKREUZ. Nach einer Lehre als Fotograf zog er 1977 nach Ostberlin und wurde dort in den Verband Bildender Künstler der DDR (VBK) aufgenommen. Das soziale Interesse machte ihn zusammen mit seiner künstlerischen Ambition innerhalb kürzester Zeit zu einem bedeutenden Fotografen des Ostens. Als erster DDR-Fotograf veröffentlichte er unter anonymen Namen Fotoreportagen in westlichen Magazinen wie GEO, dem Zeitmagazin oder der Taz. Mittlerweile ist Harald Hauswald Träger des Bundesverdienstkreuzes und wurde mit mehr als 250 Einzelausstellungen in ganz Deutschland, den USA, Frankreich, Italien und den Niederlanden, sowie unterschiedlichsten Publikationen zum Thema Ost-Berlin, zu einem angesehenen deutschen Fotografen. Seine Bilder aus der Zeit vor der Wende haben das Bild der DDR und die Erinnerungen an Ostberlin deutlich mitgeprägt. (Quelle: Ostkreuz)
[11] Werner Mahler wurde 1950 in Boßdorf, Sachsen Anhalt geboren. Seine fotografische Karriere begann er 1971 als Assistent von Ludwig Schirmer. 1978 schloss er sein Studium der Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig ab. In seinen Arbeiten der 70er und 80er Jahre dokumentierte er auf eindringliche Weise das Leben in der DDR, etwa den Alltag in einem thüringischen Dorf, die Arbeit in einem Steinkohlebergwerke bei Zwickau oder die politisch aufgeladenen Derbys zwischen den Fußballvereinen FC Union und BFC Dynamo.Nach der Wende begründete Werner Mahler die Agentur OSTKREUZ mit, deren Geschäftsführer er bis heute ist. 2005 rief er gemeinsam mit Thomas Sandberg die OSTKREUZSCHULE für Fotografie ins Leben. In seinen neueren Arbeiten kommen häufig historische Kameras zum Einsatz. Mit der Camera Obscura schaffte er traumartige Sequenzen von Schweizer Seen, brandenburgischen Landschaften oder Leonardi da Vincis Wirkstätten in Norditalien. Gemeinsam mit seiner Frau Ute Mahler fotografierte er mit einer alten Plattenkamera Mädchen im Übergang, zwischen Stadt und Land, Kindheit und Reife. Das so entstandene Buch- und Ausstellungsprojekt Monalisen der Vorstadt wurde 2011 mit dem Kunstpreis Fotografie der Lotto Brandenburg ausgezeichnet. (Quelle: Ostkreuz)
[12] Thomas Sandberg: Wir begehren was wir sehen. Den Dingen im Bild habhaft werden, ist der Urinstinkt jedes Fotografen, der Rest ist erlernbar. Meine Kamera ist mein Tatwerkzeug und meine Komplizin. Der Sucher hilft mir Entscheidungen zu fällen. Das Objektiv zeigt mir, auch das was ich nicht sah. Der Film fixiert meine Gedanken. Aber das Wichtigste, das ist der Verschluss, er löst aus der Zeit und erlöst mein Gefühl. (Quelle: Ostkreuz Schule)