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Spannende Einblicke...

Nightshift, 2014 - 2015 | Myriam Boulos

Die Ausstellung "Liban Réalités & Fictions" im Institut du Monde Arabe anlässlich der dritten Biennale des Photographies du Monde arabe contemporain einen spannenden Einblick in die Welt des Libanon. Die Jahre des Bürgerkriegs im Libanon (1975-1990) hatten tiefgreifende Auswirkungen auf die Fotografen. Die Notwendigkeit, die Erinnerung an ein verlorenes architektonisches Erbe zu bewahren, die Stigmata des Konflikts zu zeigen, schien im Mittelpunkt ihrer künstlerischen Bemühungen zu stehen. Die neue Generation von Fotografen und Fotografinnen bewahrt einige Erinnerungen, greift aber neue Themen auf. Im Institut du Monde Arabe sind bereits anerkannte Fotografen und Fotografinnen und solche, die in Frankreich noch wenig gezeigt wurden zu entdecken. 

Nightshift, 2014 - 2015 | Myriam Boulos

Nightshift konzentriert sich auf Partys, die in den Industriegebieten von Beirut stattfinden. Diese Orte sind soziale Blasen der Generation von Myriam Boulos, die Beiruts Mainstream-Bling-bling entgegenstehen. Sie folgt jungen Frauen, die auf einmal stark und dennoch zerbrechlich, entschlossen und verletzlich wirken. Wie sie verändern sich diese Frauen in einer Gesellschaft, die sich ständig weiterentwickelt. Dieses Projekt fragt nach dem Platz der Frau in einer patriarchalischen kapitalistischen Gesellschaft, in der Selbstentdeckung, Selbsterhaltung und Widerstand in verschiedenen Formen auftreten.

Seit 1975 erlebt der Libanon Konflikte und Unsicherheiten. Lamia Maria Abillama brachte Frauen verschiedener sozialer Schichten und Altersgruppen zusammen. Sie bat sie, sich in Militäruniformen zu stellen und eine defensive Haltung einzunehmen. Sie sind täglich mit Bedrohungen konfrontiert, die mit der politischen Instabilität des Landes und der Diskriminierung von Frauen zusammenhängen. Sie stellen sich der Situation, die Blicke sind von Angst geprägt, spiegeln aber dennoch eine starke Kraft wider. Lamia Maria Abillama wendet sich mit ihrer Arbeit direkt an Politiker, um mit Nachdruck eine Zukunft des Friedens zu fordern. 

Vicky Mokbel ist Architekturliebhaberin und Beobachterin. Im April 2015 fokussierte sie sich auf das libanesische Elektrizitätsgebäude (EDL) im Stadtteil Mar Mikhael Beiruts. Das Gebäude erzählt die Geschichte eines Landes. Die Fassade ist in ihrem Erscheinen vernachlässigt, fast monochrom und hat seit seiner Konstruktion in den 70er Jahren keine Entwicklung erlebt – es hat keine Zukunft. Zu ihrer grossen Überraschung war das Gebäude gegenüber identisch: Gleiche Farben, gleicher Verfall. Im Inneren spiegelte eine verlassene Wohnung das bedauernswerte Strommanagement des Landes wider. Es scheint, dass der Zustand der EDL die Nachbarschaft verunreinigt hat. 

Tanya Traboulsi ist zwischen dem Libanon und Österreich aufgewachsen. In Form von Diptychen erzählt sie über ihre Rundreisen zwischen zwei Kulturen. Die Reisefreiheit steht im Mittelpunkt ihres künstlerischen Ansatzes. Sie hat sich von den Einschränkungen der üblichen Fotokamera befreit, um mit ihrem Handy die Momente einer Identitätssuche festzuhalten. Sie schafft es, Verbindungen zwischen zwei sehr unterschiedlichen Welten herzustellen. Die Sorgfalt bei der Komposition und Beherrschung der Lichtverhältnisse bereichert den Dialog zwischen den urbanen Ansichten des Libanon und den idyllischen Landschaften Österreichs. 

Underbelly, 2017 | Lara Tabet

Die Installation von Lara Tabet wird wie ein Krimi präsentiert, der den Betrachter einlädt, der Reise eines Serienmörders in Beirut zu folgen. Das grossformatigen Bilder zeigen Tatorte, in denen Frauenkörper im urbanen Raum liegen. Die Dunkelheit verstärkt die Dramatik der Szenerie und verunmöglicht die Identifizierung der Personen. Die Bilder werden mikroskopischen Ansichten forensischer Beweise vom Tatort gegenübergestellt. Lara Tabet bezieht sich auf die Geschichte der Fotografie und ihre Verbindung zur Kriminologie. Die Aufnahmen sind notwendige Werkzeuge zur Mordaufklärung. Gleichzeitig haben sie aber auch die Form einer Performance, die es Lara Tabet ermöglicht und dazu bringt, verbotene Orte zu erkunden. 

Recueil, 2012-2013 | Caroline Tabet

Die Serie "Recueil" von Caroline Tabet zeigen Bilder von zufälligen Begegnungen an verschiedenen Orten wie in einer ehemaligen Textilfabrik in Beirut, in Ruinen eines Bergdorfes im Libanon. Caroline Tabet arbeitet mit Negativen, die sie mit verschiedenen Techniken manipuliert. Die Motive der Fotografien verbergen sich hinter den vielfältigen Interventionen als diffuse Erinnerungen. Dieser Prozess der Transformation entfernt das Bild von der unmittelbaren Realität und eröffnet eine sehr persönliche Interpretation ihrer Verbindung zum Libanon. 

I Can't Recall the Edges​, 2016-2019 | Catherine Cattaruzza

"Die Einöden, verlassenen Baustellen, die Zerstörung durch Krieg sind alles urbane Landschaften, die das Gehirn meines Kindes aufgenommen hat. Ich habe nur wenige Monate Zeit, um im Libanon anzukommen; alles, was ich heute noch habe, sind mehr oder weniger genaue Erinnerungen an fehlende Fotos und zweifellos eine Faszination für Gebiete im ständigen Wandel." Es ist diese verschwommene Erinnerung an die Vergangenheit, die Catherine Cattaruzza mit Hilfe eines bestimmten Protokolls - der Verwendung veralteter Filme - wiederherstellt, dass das Bild der Realität, insbesondere ihre Farben, erheblich verzerrt. Aber es bedeutet auch, sagt sie, "Chancen in den Mittelpunkt meines Arbeitsprozesses zu stellen und auf der Zerbrechlichkeit des Staates zu bestehen, in dem sich Beirut noch immer befindet". 

Nightshift | Myriam Boulos

Im Institut du Monde Arabe sind, anlässlich der Biennale des Photographies du Monde arabe contemporain bis 24. November Arbeiten von Lamia Maria Abillama, Vladimir Antaki, Nadim Asfar, Myriam Boulos, Catherine Cattaruzza, Gilbert Hage, Omar Imam, Maria Kassab, Dalia Khamissy, Demetris Koilalous, Vicky Mokbel, Zad Moultaka, Tanino Musso, Berine Pharaon, François Sargologo, Ieva Saudargaité Douaihi, Caroline Tabet, Lara Tabet, Tanya Traboulsi.