Pia Zanetti. Fotografin
Es ist ein Auftrag gewesen, wie es so viele Aufträge gibt. Aber manchmal wird aus einem Auftrag unversehens mehr. Die Entfernungen schwinden, die Kamera ist nicht mehr die heimliche Beobachterin, schwarz und bedrohend aus einer dunklen Ecke heraus. Die Kamera wird zum Raum, in dem sich die Bilder abspielen. Dabeisein, das Zauberwort der Fotografie, verliert seine voyeuristische Anrüchigkeit, da ist keine Neugier, kein Ehrgeiz, Unerhörtes öffentlich machen zu wollen.
Pia Zanetti
Für die erste umfassende Einzelausstellung ist Pia Zanetti in ihr umfangreiches Archiv getaucht und hat jene Aufnahmen ans Licht geholt, die mehr als Dokumente sind. Es sind Bilder, die sich einprägen, in denen sie Momenten des Alltags und zufälligen Begegnungen mit Menschen ein Stück Poesie abgerungen hat.
Die Ausstellung in der Fotostiftung Schweiz in Winterthur und die Publikation, die von Peter Pfrunder, Fotostiftung Schweiz in Zusammenarbeit mit Jürg Trösch, Codax Publisher beim Verlag Scheidegger & Spiess erschienen ist gibt einen tiefen Einblick in das Schaffen von Pia Zanetti, die schon als Jugendliche Fotografin werden wollte.
Im Prolog - La condition humaine - schreibt Peter Pfrunder über die Art der Herangehensweise von Pia Zanetti: "Ihr Interesse am Bewegten und am Bewegenden äussert sich auch in den frühen Strassenszenen aus Italien: gekonnt setzt sie Unschärfe als Stilmittel ein, als würde sie damit sagen wollen, dass sich das Leben sowieso nicht festhalten lässt. Wieder und wieder zeichnet sie die Interaktionen zwischen den fotografierten Individuen auf und spürt der unbekannten Choreografie nach, die sie zu folgen scheinen."
Im Epilog – Mit der Kamera die Welt befragen – beschreibt Nadine Olonetzky den beeindruckenden Weg Pia Zanettis als Fotografin und Mutter, den Start mit Hindernissen, der Ausbildung zur Fotografin bei ihrem älteren Bruder Olivio Fontana und Lektionen fürs Leben bei Verhandlungen mit Redaktionen und das hartnäckig Bleiben, das Unterwegssein als Reporterteam mit ihrem Mann Gerardo Zanetti und die eigenen Wege ab Ende der 60er Jahre. Auch über die äusseren und inneren Impulse, die Pia Zanetti bewegen und das Engagement für Fairness erfährt man einiges.
Als Fotografin unter vielen Fotografen gehörte Pia Zanetti immer zur weiblichen Avantgarde in einer Männerwelt, was Mut voraussetzt und Hartnäckigkeit. Sie hat die Komfortzone Schweiz immer wieder verlassen, sich mit harten Realitäten in anderen Ländern konfrontiert, dafür Unbequemes in Kauf genommen, durchgehalten. Sie hat sich dem Anblick von Armut, Aids und Hunger ausgesetzt, hat Krieg und die Folgen davon gesehen, aber sie hat auch Lebendigkeit, Liebenswürdigkeit, Hilfsbereitschaft erlebt, Schönheit, Würde und auch Witz gefunden…
Nadine Olonetzky
Pia Zanetti (*1943) ist in Basel geboren und lebet heute in Zürich. Ihre Ausbildung zur Fotografin machte sie bei Olivio Fontana und an der Kunstgewerbeschule Basel (1960 – 1963). Seither ist sie als freischaffende Fotografin tätig, mit Schwerpunkten in politischen und sozialen Themen. Von 1963 bis 1965 und von 1969 bis 1971 lebte sie in Rom, dazwischen in London (1965 – 1969). Ihre Arbeiten erschienen in zahlreichen Medien (Espresso, Venerdì di Repubblica, Adesso, Stern, Paris Match, Du, Annabelle, Bolero, Film-Revue, Textil-Revue und anderen) und wurden in Einzel- und Gruppenausstellungen (Instituto Svizzero di Roma, Museo cantonale d'Arte, Lugano, Musée de l'Elysée, Kunsthaus Zürich und anderen) präsentiert. Seit 2019 ist sei Stiftungsrätin und fotografische Beraterin von fairpicture.org.
Peter Pfrunder ist Direktor der Fotostiftung Schweiz in Winterthur.
Nadine Olonetzky (*1962) ist in Zürich geboren. Sie ist Autorin, Herausgeberin von Büchern über Fotografie und Projektleiterin und Lektorin im Verlag Scheidegger & Spiess. Sie ist Mitglied von Kontrast und lebt in Zürich.
Scheidegger & Spiess gehört zu den führenden Schweizer Verlagen in den Bereichen Kunst, Fotografie und Architektur. In Zusammenarbeit mit renommierten Museen, Fotografinnen, Kunstschaffenden und Architekten werden sorgfältig konzipierte, lektorierte und gestaltete Bücher verlegt. Ein besonderes Augenmerk gilt der anspruchsvollen Ausstattung und Materialisierung. Rund die Hälfte der Titel erscheint auch in englischer Sprache. Das Verlagsprogramm ist dank der Zusammenarbeit mit kompetenten Marketing- und Vertriebspartnern weltweit präsent. Der Verlag gehört einer unabhängigen Eigentümerschaft und besteht aus engagierten Mitarbeitenden, die ihre unterschiedlichen Erfahrungen und Stärken in die Arbeit einbringen.
Die Fotostiftung Schweiz, 1971 als private "Stiftung für die Photographie" gegründet, setzt sich für die Erhaltung, Erforschung und Vermittlung von fotografischen Werken ein. Ihre Sammlung umfasst ca. 50'000 Ausstellungsprints, 250'000 Archivabzüge sowie über 1 Million Negative bzw. Dias. Der Schwerpunkt der Sammlung liegt auf der Schweizer Fotografie des 20. Jahrhunderts. Im Auftrag des Bundesamtes für Kultur betreut die Fotostiftung Schweiz auch die Archive oder Nachlässe herausragender FotografInnen und umfangreiche Fotografiebestände der Eidgenossenschaft. Mit eigenen Ausstellungen und Publikationen stellt die Fotostiftung Schweiz regelmässig historische oder aktuelle Positionen der Schweizer Fotografie vor.
Der codax Verlag verdankt seine Existenz der Freude an schönen Büchern. Bei den exklusiven Editionen, die von codax produziert werden, steht die handwerkliche Perfektion im Vordergrund. Herausragende Buchgestaltung bildet die Grundlage. Das Ziel des Unternehmens ist es, eine verlegerische Plattform für zeitgenössische Fotografie und Videoarbeiten zu schaffen. Für viele der beteiligten Künstler ist es das erste Mal, dass ihre Arbeiten in Buchform der Öffentlichkeit präsentiert werden. Die Gründer von codax begegnen dem Medium Fotografie in ihrer alltäglichen Arbeit. Sie verstehen die seit 1996 erscheinende Buchreihe als einen Beitrag zur künstlerischen und formalen Entwicklung des Mediums.
Die Ausstellung "Pia Zanetti. Fotografin" ist bis 23. Mai 2021 in der Fotostiftung Schweiz in Winterthur zu sehen.
"Pia Zanetti. Fotografin" (ISBN 978-3-03942-008-7) kann direkt bei Scheidegger & Spiess bestellt werden oder im Buchhandel bezogen werden.