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Krieg ohne Ende - Blindgänger: Leben mit der Bombe

Tan Hiep 10.3.2015 - Hoang Xuan Phuong (56) hat bei Arbeiten im Feld eine Hand verloren, als er einen Blindgänger zur Explosion brachte. | © Roland Schmid

Im Dorf Tantuong in der Provinz Quang Tri geht es an diesem Morgen hektisch zu. Strassen werden gesperrt, Zündkabel verlegt, Sprengstoffpakete deponiert, Nachbarn per Megaphon gewarnt. Auslöser ist ein Fund, den Stunden zuvor der Bauer Nguyen Van Ky gemacht hat, als er hinter dem Haus eine Kuh anbindet. «Da lag eine Streubombe halb vergraben im Boden», erzählt er. Es ist nicht das erste Mal. «Aber es ist jedes Mal ein Schock. Ich rief sofort die Hotline des Project Renew an.»

Dong Ha 10.03.2015 - Dokumentationszentrum des Project Renew, einer Organisation für die Räumung von Blindgängern. Gemälde eines Bombers mit entschärften Blindgängern (Streubomben und Bomben). | © Roland Schmid

Zu den gefährlichen Spätfolgen des US-Vietnamkrieges gehören Hunderttausende von Blindgängern. Am schlimmsten ist es in der zentralvietnamesischen Provinz Quang Tri, wo einst die provisorische Grenze zwischen dem «kommunistischen» Norden und dem von den USA unterstützten «kapitalistischen» Süden lag.

Dong Ha 10.03.2015 - Dokumentationszentrum des Project Renew, einer Organisation für die Räumungvon Blindgängern. Demonstration eines Fundortes mit einem Blindgänger. Uxo (Unexploted ordonance). | © Roland Schmid

Das Project Renew ist eine hauptsächlich von Norwegen und den USA finanzierte Nichtregierungsorganisation. In der Provinz Quang Tri entschärft und vernichtet sie Blindgänger, unterstützt Opfer und erteilt Kindern Präventionslektionen. So wie an diesem Tag auch im Nachbardorf Cam Tuyen. Die zehnjährige Kieu, ein schüchternes Mädchen in der blauweissen Schuluniform, gesteht, sie habe wegen der Blindgänger auf ihrem Schulweg manchmal Angst. Etwa ein Drittel der Klasse hat schon einmal gesehen, wie das Renew-Team Blindgänger zur Explosion bringt. Auf keinen Fall berühren, Abstand halten und sofort die Renew-Hotline anrufen.

Tan Phu 11.03.2015 - Nguyen Juan Tuan. Ein Blindgänger (Cluster Bombe) riss ihm hier in der Pfefferplantage seiner Familie 2002 eine Hand ab, als er nach Kriegsschrott grub. Das Dorf liegt auf dem Gelände des ehemaligen Camp Carroll der US Army. | © Roland Schmid

Quang Tri war die am schlimmsten umkämpfte Gegend und eine der am schwersten bombardierten Regionen der Geschichte. Die Provinz glich einer Mondlandschaft. Sie wurde mit Millionen Tonnen von Bomben, Landminen, Granaten und anderen Waffen terrorisiert. Etwa zehn Prozent davon sind nicht explodiert. Seit Kriegsende verletzten oder töteten Blindgänger allein in der Provinz Quang Tri fast 8000 Menschen. Etwa ein Drittel der Blindgängeropfer von Quang Tri sind Kinder.

Hanoi 03.03.2015 - Überreste eines im Vietnamkrieg abgeschossenen B-52 Bombers im Huu Tiep See. | © Roland Schmid

Ngo Xuan Hien ist leitendes Teammitglied des Project Renew. Er weist auf eine weitere Konsequenz der Zeitbomben hin, die hier im Boden ticken: «Unsere Studien zeigen, dass es zwischen Blindgängern und Armut einen klaren Zusammenhang gibt.» Vier Fünftel der Menschen in Quang Tri leben von der Landwirtschaft. Wegen der Blindgänger können die Bauern nicht ihr ganzes Land bebauen. Die meisten haben deswegen nicht genug zum Leben. Nach dem Krieg waren achtzig Prozent der Provinz mit Blindgängern verseucht, eine Provinz, die flächenmässig etwa einem Zehntel der Schweiz entspricht. Heute ist laut Renew insgesamt noch ein Gebiet mit Blindgängern kontaminiert, das etwa zweimal so gross ist wie die Stadt Basel.

Tan Tuong 10.3.2015 - Mitarbeiter der Organisation Renew vernichten Blindgänger. Auf dem Gelände des Bauern Nguyen Van Ky wird eine Clusterbombe, eine Minenwerfgranate und der 37mm Flugabwehrgeschosse (letztere der NVA) zur Explosion gebracht. | © Roland Schmid

Ganz ungefährlich wird es hier wohl nie, wie Renew-Mitgründer und US-Kriegsveteran Chuck Searcy sagt. «Es ist traurig, aber die Äcker hier werden nie hundertprozentig sicher sein. Ich kenne Fälle, wo ein Bauer jahrzehntelang sein Feld pflügte. Eines Tages, in einem Augenblick und völlig unerwartet, explodiert auf demselben Feld eine Bombe, die ihn tötet oder ihn ein Auge, eine Hand, einen Arm oder ein Bein kostet.»

Tan Phu 12.03.2015 - Project Renew. Unschädlich machen von Blindgängern aus dem Vietnamkrieg. Eine amerikanische Clusterbombe wird in die Luft gejagt. | © Roland Schmid

Peter Jaeggi ist freischaffender Autor, Fotograf sowie Reporter für Schweizer Radio SRF, Radio SWR2 und ORF1 sowie für verschiedene anderer nationale und internationale Medien. Schwerpunkte sind Arbeiten aus sozialen und naturwissenschaftlichen Bereichen.

Preisgekrönte Radio-Features von Peter Jaeggi über Agent Orange
Teil 1: https://soundcloud.com/aeschiried/spatfolgen-des-chemiewaffeneinsatzes-im-vietnamkrieg-teil-1
Teil 2: https://soundcloud.com/aeschiried/agent-orange-spaetfolgen-des

Roland Schmid ist freischaffender Fotojournalist. Er arbeitet für zahlreiche Schweizerische und internationale Medien und berichtet auch regelmässig aus Krisengebieten. Schwerpunktmässig berichtet er aus der Schweiz, aus Osteuropa und Asien.

Textauszüge und Bilder sind aus dem Buch Krieg ohne Ende, 2016 im Lenos Verlag

Bezugsquellen: Agent-Orange

Krieg ohne Ende

Spätfolgen des Vietnamkrieges
Agent Orange und andere Verbrechen

Konzept, Texte, Gestaltung: Peter Jaeggi
Bilder: Roland Schmid (Farbbilder), National Geographic (Schwarzweissbilder)

ISBN: 978 3 85787 473 4