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Maschinenzeit – Jakob Tuggener | Fotostiftung Schweiz

Kunstseide, Steckborn, 1938| Drehhaspel, Weberei Gebr. Näf, Affoltern am Albis, um 1945

Zur Zeit ist in der Fotostiftung Schweiz ein Stück Schweizer Industriegeschichte zu sehen. "Maschinenzeit" zeigt Bilder des Zürcher Fotografen Jakob Tuggener.

Der bei der Firma Maag Zahnräder AG in Zürich zum Maschinenzeichner ausgebildete Jakob Tuggener kannte die Welt der Fabriken wie kaum ein anderer Fotograf. Durch Gustav Maag, Werkfotograf der gleichnamigen Zahnräder Firma wurde er in die Fotografie eingeführt. Als Folge der Wirtschaftskrise Ende der 1920er-Jahr wurde er entlassen, worauf er sich seinen seit Kindertagen gehegten Traum Künstler zu werden erfüllte. Während des Studiums an der Reimann-Schule in Berlin befasste er sich während knapp eines Jahres intensiv mit Plakatgestaltung, Typografie und Film. Er liess sich mit seiner Fotokamera von der Dynamik der Grossstadt mitreissen.

Maschinenfabrik Oerlikon, 1934

Granaten, Oerlikon-Bührle, Zürich, 1943

Nach seiner Rückkehr arbeitete er als freier Mitarbeiter für die Maschinenfabrik Oerlikon und war vor allem für deren Hauszeitung zuständig. Er wurde mit der Aufgabe betraut eine Art Innensicht des Betriebes zu erarbeiten. Mit seinen Fotografien zeichnete er nicht nur ein Bild der Werkhallen und der produzierten Waren wie den Granathülsen und andern Dingen, sondern auch der Arbeiter und Ingenieure.

Autorennen auf dem Bremgartenring, Bern

Autorennen auf dem Bremgartenring, Bern

Während den Autorennen auf dem Bremgartenring fotografierte er nicht die Boliden, sondern Szenen am Rande. 1934 schrieb er in einem Brief an Marie Gassler: "Nun das Rennen. Einer meiner Bilder nenne ich "Reiter der Apokalypse". Die Idee kam mir plötzlich und ist grossartig. Ich ging zum Pfarrer. Leider gibt es keinen Bibeltext, den ich meinen Fotovisionen hätte zugrunde legen können, aber ich finde noch einen anderen Titel, der die Grösse unseres Jahrhunderts bezeichnen könnte. Ich habe eine merkwürdige Wendung genommen. Plötzlich sehe ich den Sport als den Träger unserer Zeit. Das Dynamische, das Tempo ist das Wesen der Gegenwart. Wie habe ich Freude, ihr Künder zu sein. Sie hätten erleben sollen, wie die ungeheuer dahergerast kamen, ein Pfeil, ein Singen und Donnern, oh, es war überwältigend – kalt hat es über mein Herz gerieselt. Die Technik in grandiosester Poesie. Heroisch ist solch ein Sport, hinreissend und todesnah. Das war ein Tag, dessen Eindruck ich nicht vergesse. Ich sah auch die Tragik des Herzens. Ich wollte eine Frau fotografieren, wie sie von ihrem Mann, dem Rennfahrer, Abschied nahm. Das war so rührend, eine grosse Filmszene, aber ich hatte Hemmungen, es zu fotografieren. Nachher sah ich diese Frau wieder. Sie hatte ihr Gesicht in den Händen vergraben. Ihr Mann war tot – fünf Runden von dem Ziel verlor er ein Rad, der Wagen raste in eine Tanne, die er glatt wegrasierte, überschlug sich, fällte eine zweite Tanne und war eine Trümmerhaufen. Die Tanne erschlug einen Zuschauer und verletzte einen 2ten. Alle diese Eindrücke waren tief, grossartig die Technik und erschütternd das Leid."

1943 schrieb er an die Dampfbootgesellschaft Zürichsee: "In unseren Maschinenfabriken habe ich die künstlerischen Industriefotos gemacht, doch bin ich auch nach vielen hunderten von Bildern immer noch auf der Suche nach der Maschine. Einzig die Lokomotive und die Dampf- oder Kolbenmaschinen erfüllen unsere Vorstellung, nur sie sind "Maschinen". Darum lasset mich hinabstiegen zu den Rädern und Pleuelstangen, damit Einer noch kommt, der ein Bild von ihrem Leben gemacht hat. Die Geschichte ist armselig an Illustrationen unseres technischen Zeitalters. Ich an meiner Stelle möchte die Ahnenreihe der ganz wenigen Künstler fortsetzen, welche der Geschichte der Technik durch ihre Bilder gedient haben."

Werkzeugmaschinenfabrik Tornos, Moutier, 1942

Jakob Tuggener (1904 – 1988) wuchs in Zürich auf und arbeitete als Konstruktionszeichner bei der Maag AG. 1935 gründete er sein eignes Atelier. 1951 gründete er mit Werner Bischof, Walter Läubli, Gotthard Schuh und Paul Senn das Kollegium Schweizer Fotografen, das sich für Autorenfotografie und die Wahrnehmung der Fotografie als eigenständige Kunstform einsetze. 1957 wurde er mit der Goldmedaille an der 1. Internationalen Fotobiennale Venedig gehrt, 1964 wurde er Ehrenmitglied des Vereins Zürcher Film-Amateure, 1981 wurde er mit dem Kulturpreis der Stadt Zürich ausgezeichnet und 1983 wurde er Ehrenmitglied des schweizerischen Fotografenverbandes.

Die Ausstellung in der Fotostiftung Schweiz in Winterthur dauert noch bis zum 28. Januar 2018